Dieser Artikel ist Teil einer autobiografischen Beitragsreihe in Briefform, der dringend empfohlene Übersichtsartikel dazu erklärt, wer F² ist und wie es zu diesen seltsamen „durchgezählten“ Leben kommt. |
Hallo F²,
[…] Kommen wir also zum dritten Leben, dem Berufs- und Familienleben.
Dein Tipp auf Psychologie [zur Berufswahl] geht durchaus in die richtige Richtung, allerdings hatte ich Sorge vor dem Statistikanteil im Studium und habe deswegen gekniffen (Mathe-Abiturnote 5). Es wurde Sozialpädagogik. Während dem Studium hatte ich verschiedene, meist unqualifizierte Jobs, erwähnenswert ist eigentlich nur die Zeit, während der ich gemeinsam mit Freunden in einem alten Stall auf liebevoll renovierten Vorkriegsmaschinen schreinerte. Schwarz und für wenig Geld, aber mit viel Spaß an der Sache und durchaus respektablen Ergebnissen. Soll heißen: neben einigem anderen bin ich auch ein halber Schreiner.
Anerkennungsjahr als Soz-Päd in einer Einrichtung für drogenabhängige Jugendliche, wo mir meine eigene Suchterfahrung die Anerkennung von Kollegen und Jugendlichen sicherte. Durch Vermittlung meines damaligen Chefs dann die Stelle, die ich als Höhepunkt meiner beruflichen Laufbahn bezeichne, erster Mitarbeiter einer im Aufbau befindlichen Nachsorge-Einrichtung für psychiatrisch kranke Jugendliche. Auf dem Gelände eines ehemaligen Kinderdorfes konnten wir vier nebeneinanderliegende Jugend(holz)häuser beziehen und für unsere Zwecke umbauen. Nebenbei musste die Verwaltung für die Einrichtung aufgebaut und um Pflegesätze verhandelt werden. Meine gesamten bis dahin erlernten Fähigkeiten schienen nur für diese Stelle erworben zu sein. Dank der ungeliebten Bürokaufmannslehre konnte ich die Buchhaltung aufbauen und führen, meine handwerklichen Fähigkeiten kamen beim Ausbau der Häuser zum Tragen und mit Einzug der ersten Klienten wurde auch der Soz-Päd gefordert. Ich wohnte mit meiner Familie innerhalb einer kleinen Gemeinschaft und in bester Lage; in die eine Richtung 20 Minuten bis zu nächsten Großstadt, in die andere direkt in die Natur.
Ahnst Du es schon? Genau! Je höher, desto plumps. Eineinhalb Jahre dauerte dass Idyll, dann wurde es schwierig. Eine Klientin, die anfangs mit in meiner Familie gewohnt hatte, beging Selbstmord und ich gab meinen Kollegen dafür eine Mitschuld. Depression und ein schwierigeres Verhältnis zu den Kollegen, mit denen ich ja auch zusammen wohnte, folgten. Helen, meine damalige Freundin und Mutter meiner Kinder, hatte zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon keine Lust mehr auf die Gemeinschaft. Der Einzige, der festhielt, war ich, es war einfach alles zu gut, um einfach weiter zu ziehen. Interessanterweise kam mir die Gemeinschaft eine Woche zuvor, was die Trennung anging. Gerade hatte ich während einer Abwesenheitszeit den Entschluss getroffen aufzuhören, da lag auch schon die Kündigung vor mir. Es war die größte Kränkung, die ich bis dahin erlebt hatte. Hatten wir nicht gemeinsam viele Abende an einer Geschäftsordnung herumgebastelt, die genau solche Härten abfedern und zur Diskussion stellen sollten? Hatten wir, war im Ernstfall aber nur Makulatur.
Vorläufiges Ende aller Idealismen. Kurz nach der Geburt meiner Tochter ziehen wir gemeinsam wieder nach Hessen. Mich zog es in die Nähe von Gießen, die Stadt lag in der Nähe meiner früheren Land-WG und ich mochte sie wegen ihrer Größe und der überwiegend studentischen Bevölkerung (und weil Du gefragt hast: ich wohne noch immer dort), Helen war’s recht. Einzug in eine Fast-Land-WG, gemeinsam mit einem anderen Paar plus Kind. Die WG lief über fünf Jahre gerade gut genug um nicht auseinander zu fallen. Als der Mietvertrag nach dieser Zeit ablief lösten wir sie auf, das andere Paar hatte sich ohnehin schon getrennt und mit mir und Helen lief es auch nicht gerade rosig (was immer noch eine beschönigende Weise ist, den Zustand unserer Beziehung zu beschreiben).
In der Zwischenzeit hatte ich eine Umschulung zu Kommunikationselektroniker gemacht, das schien mir weit genug weg von jeder idealistischen Betätigung, geht oder geht nicht, null oder eins. Keine Entscheidungsspielräume, die im Zweifelsfall ein Menschenleben kosten könnten. Keine überhöhten Ansprüche ans kollegiale Umfeld und niemand muss irgendwen oder die Welt retten. Kurz: das Pendel war nur zur anderen Seite hin ausgeschlagen. Dummerweise brauchte in diesem Berufsfeld niemand 38jährige Berufsanfänger, die noch dazu überqualifiziert und – weil Familie – teuer sind. Die Elektronikbranche verliert ihren besten Mann, bevor sie ihn bekommt.
Nach der Fast-Land-WG wohnten wir in Gießen, zum ersten Mal richtig und gewollt „kleinfamilienmäßig“, die Male vorher, als wir „allein miteinander“ wohnten, waren das immer Übergangssituationen. Eine schöne Wohnung mit Garten hintendran. Für ein Jahr fand ich einen Sozialpädagogen-Job, der mir sogar Spaß machte (naja, mal mehr, mal weniger), leider auf ABM-Basis. Wie auch immer, was sich gut anhört muss noch lange nicht gut sein. 1997 kommt die Trennung und 1998 ziehe ich aus. Ende meiner beruflichen Laufbahn und meines „Familienlebens“. […]
Liebe Grüße
g.
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