Kleine Dosen

Auf spektrum.de gab es vor nicht allzu langer Zeit einen Übersichtsartikel zu Microdosing, meint: der regelmässigen Einnahme psychoaktiver Drogen unterhalb der Wirkschwelle. Menschen machen das zum Zwecke der Gesundung oder zur Steigerung der Leistungsfähigkeit. Zu beidem gibt es deutliche Hinweise, dass das nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Depressionen und Ängste sollen sich bessern, Konzentration und Kreativität zunehmen.

Schon einige Tage zuvor war mir das Thema im Rahmen einer Pilz-Doku („Die fantastische Welt der Pilze“ in der Mediathek) begegnet. Eine Suche im Netz bringt dann weitere Bewegtbildinhalte der öffentlich-rechtlichen Sender zutage, mal kurz, mal länglich-gesprächslastig. Und alles interessant vor allem unter einem Aspekt: der gesamtgesellschaftliche Zugang zum Thema Rauschdrogen in der Medizin scheint sich im Wandel zu befinden. Erstmals seit den 1970er Jahren gibt es wieder Forschung zum Thema und überall auf der Welt gibt es experimentelle Ansätze, Drogen in Therapien einzubeziehen.

Im Wesentlichen gibt es zwei Ansätze. Erstens werden Drogen im Rahmen eines gesicherten Settings verabreicht, der anschließende Rausch begleitet und in den Folgesitzungen aufgearbeitet. Die Anzahl der „Rausch-Sitzungen“ liegt im einstelligen Bereich. Im zweiten Ansatz werden sehr kleine Dosen psychoaktiver Drogen (deswegen Microdosing, wer hätte es gedacht) regelmäßig über einen längeren Zeitraum eingenommen. Dosierung und Einnahme liegen in der Verantwortung des Konsumenten. Dabei soll es zu keinem Zeitpunkt zu einer  Veränderung der gewohnten Wahrnehmungsweise kommen, wer einen Rausch wahrnimmt, hat zu hoch dosiert.

Klare Sache, wer als Betroffener den Trip auf Krankenschein sucht, wird ihn so schnell nicht bekommen. Zufall und Glück müssten ihn in eine der wenigen klinischen Studien oder zu einem der wenigen zugelassenen Therapie-Plätze führen. Insgesamt keine guten Erfolgsaussichten. Hat aber auch sein Gutes: wir müssen uns nicht mehr kümmern.

Eine bessere Chance bietet da Microdosing als Selbsthilfe.  Auch das ist nicht ohne jede Schwierigkeit und vermutlich taucht gelegentlich die eine oder andere Sorge auf, die dann behandelt werden will. Kurz, bevor wir zur selbsthelfenden Tat schreiten, müssen wir uns kümmern, Risiken abschätzen, Vorgehensweisen klären, viel lesen und verstehen

Wenn ihr mir bis hierher gefolgt seid empfehle ich dringend, den oben verlinkten Artikel zu lesen, jetzt. Damit wir auf dem gleichen Stand sind und ich mich darauf beziehen kann. Wenn ihr gerade keine Zeit habt, dann hört einfach auf zu lesen und kommt wieder, wenn ihr Zeit habt. Ansonsten: Jetzt.

Oder ihr macht, was ihr wollt.

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Was haben wir erfahren? Microdosing ist ein Trend, Die MD-Community ist von den positiven Effekten überzeugt. Dennoch: nichts genaues weiß man nicht. Microdosing scheint ungefährlich zu sein, im dümmsten Fall könnten wir es mit einem Placebo-Effekt zu tun haben. Andererseits lassen sich Wirkprinzipien benennen und schwache Effekte sogar messen. Weitere Forschung ist dringend notwendig.

Im Ergebnis scheint das zunächst etwas dünn. Was daran liegen könnte, dass der Artikel nah an seinem Thema, dem Microdosing, bleibt, während ein Großteil der Forschung sich auf den Einsatz wirkkräftiger Dosen im Rahmen konventioneller Therapien konzentriert (und dabei sehr viel überzeugter auftritt, gelegentlich sogar von „breakthrough therapies“ spricht).

Zurück zur Selbsthilfe. Als Depressionskandidat wäre ich verzweifelt genug, Microdosing eine Chance zu geben. Wenn ich denn nur wüßte, wie genau das eigentlich funktioniert. Das im Artikel angesprochene Reddit-Forum erweist sich als eine großartige Informationsquelle. Ich vermute ein Großteil der oben angesprochenen Sorgen und Ängste werden dort behandelt. Wie hoch ist eigentlich eine Micro-Dose? Welches Einnahme-Schemata gibt es? Was hilft bei Magenschmerzen oder allgemeinem Unwohlsein nach der Einnahme? Solche Fragen werden dort behandelt.

Was dort nicht behandelt wird sind Fragen der Beschaffung und was der Staatsanwalt deines Vertrauens eigentlich dazu sagt. Und das sind ja doch sehr wesentliche Fragen.

Auch der Spektrum-Artikel sagt dazu nichts, muss er auch nicht aus seiner wissenschaftlichen Perspektive heraus. Aber  spätestens wenn man das Reddit-Forum besucht hat, fällt auf, dass der Artikel Psylocybin unterrepräsentiert und nur nebenbei erwähnt („Neben LSD nutzen die Betroffenen auch Psilocybin, den Wirkstoff der »magic mushrooms« […].“ Sehr viel später im Text dann „[…] Psilocybin und LSD […] binden an einen bestimmten Serotoninrezeptor namens 5-HT2A.“). In der Microdosing-Community spielt Psiylocybin eine deutlich größere Rolle. Der Mangel an Erwähnung im Artikel ist schade, weil eine Suche nach psylocybinhaltigen Pilzen (in der Suchmachine, nicht im Wald) durchaus interessante Ergebnisse bringt, auch und gerade in Bezug auf Fragen der Beschaffung und der Legalität.

Man sollte denken, die Sache mit der Legalität sei relativ schnell geklärt. Die für das Microdosing in Frage kommenden Substanzen LSD und Psilocybin dürfen weder gehandelt noch besessen werden, wenn die treibende Kraft dahinter Rausch, Vergnügen oder Selbstverbesserung ist. Das gilt auch, wenn die Substanz, wie im Falle von Psilocybin, noch im Pilz ist. Ende aller Microdosing-Fantasien.

Aber wartet, vielleicht habt ihr schon einmal davon gehört, dass manche Sorten von französischen Schimmelkäse nach deutschem Lebensmittelrecht nicht zulassungsfähig wären. Aber weil sie in Frankreich zugelassen sind, dürfen diese Käsesorten auch in Deutschland gegessen werden. Okaaay, falls es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.

So ähnlich auch hier, Wikipedia schreibt im Artikel zu psilocybinhaltigen Pilzen zur Rechtslage in den Niederlanden:

Das Verbot betrifft psilocybinhaltige Pilze, während psilocybinhaltige Trüffel und Pilzzuchtsets verkauft werden können. Am 13. September 2019 veröffentlichte die Steuerbehörde der Niederlande die zollrechtliche Kategorisierung und den dazugehörigen Steuersatz für magische Trüffel und hat diese damit als Genussmittel legalisiert.

Manche schließen daraus: Magische Trüffel sind seit 2019 dank Holland ein in der EU anerkanntes und legales Genussmittel in jeder Mengenordnung. So oder ähnlich steht das auch auf den Seiten mancher Versender. Dem Einen sein Käse ist des Anderen Trüffel.

Aber kann das sein? Wenn es um rechtliche Fragen geht, verlasse ich mich doch lieber auf Anwälte, diese hier und nur zum Beispiel:

„Auch wenn Anbieter von magischen Trüffeln etwas anderes behaupten: Psilocybin und Psilocin sind in der Anlage 1 zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufgeführt. Damit ist jeglicher Umgang mit Pilzen oder deren Bestandteilen in Deutschland verboten und nach § 29 Absatz 1 BtMG strafbar.

Die Begründung für die angebliche Legalität in Deutschland lautet: Die niederländische Steuerbehörde habe für die Trüffel 2019 einen Steuersatz veröffentlicht und sie damit für verkehrsfähig erklärt.

Es ist aber ein Trugschluss, dass aufgrund des gemeinsamen EU-Binnenmarktes damit automatisch eine Legalisierung in allen anderen Staaten der Europäischen Union und der Europäischen Freihandelszone (EFTA) verbunden ist. In Deutschland gilt weiterhin die bisherige Rechtslage und damit das Verbot nach dem Betäubungsmittelgesetz.“

Und damit ist jede Aussicht auf legales Microdosing in Deutschland vom Tisch. Sehr schade, das!

Im nächsten Leben werde ich Holländer, dann könnte ich mir dort einen der vielen Smartshops googlen, mir total legal magische Trüffel kaufen und was gegen meine Depressionen tun. Nur mal so zur Abwechslung.

Gespräche mit der Fee (1)

Für das, was jetzt kommt, gibt’s keinen einfachen Einstieg, denn neulich kommt die Zahnfee bei mir rum, sagt, sie fragt für eine Freundin, die sei im Sterbebusiness, könne aber gerade nicht, weil Krieg und Krise und Pandemie, und überhaupt, meistens hätten es ihre Leutchen eh nicht eilig.

Stell‘ Dir vor, sagt sie, nur mal so hypothetisch, Du darfst Dir aussuchen, wie Du stirbst. Okay, nicht genau „aussuchen“, sagt sie, aber Vorlieben würden berücksichtigt, das sei ja schon mal was. Bei Feen gibt es immer irgendwelche Haken, denke ich, und ob’s wohl irgendwas wert ist, dass wir uns schon seit meinem ersten Milchzahn kennen. Aber, sagt sie, die Sache hat einen Haken, ihr sei das ja unangenehm, aber die Freundin …, und sie wäre da ja lockerer, andererseits hätte jeder Deal so seine Regeln und ich wisse schon. Wie sie so rumdruckst kann ich sie doppelt gut leiden, und auch weil wir uns schon so lange kennen.

Der Haken ist der, sagt sie, egal was Du Dir wünschst, sterbensmäßig, und das sagt sie wirklich so, das kommt dann deutlich schneller als alles, was Du nicht willst. Also ganz anders als im Leben, aber es ginge ja auch ums Sterben, da müsste ich mich nicht wundern, sagt sie. Und warum ich so ein Gesicht machen würde, fragt sie, denn …, und dann leuchtet kurz ihr linkes Ohr und sie murmelt irgendetwas schwerverständliches von Bälgern, die sich mit den Drecksrollern die Vorderzähne ausfallen, und dann wieder zu mir, da sei gerade ein Notfall hereingekommen, sie müsse da wirklich hin und wir könnten ja demnächst weiterreden und die Sache mit mir und der Freundin sei ja nun wirklich nicht dringend … und schwupps, weg ist sie. Ich bin zu alt für den Scheiß!

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Drei Tage später, ’selber Ort, ’selbe Zeit, ’selbe Fee, die einsteigt als sei sie niemals fortgewesen, also, sagt sie, sie hätte da nochmal nachgehakt, rein interessehalber, und ob mir eigentlich nicht klar sei, was ich anstelle, wenn ich so ins Universum hineinwünsche. Ich halte das für eine rhetorische Frage und sage lieber nichts, wüsste ohnehin nichts drauf zu sagen außer ja, also nein, nicht klar, gar nicht klar. Aber sie ist sowieso nicht zu stoppen, weil nämlich, ich hätte bei verschiedenen Gelegenheiten den Wunsch geäußert, möglichst schnell und überraschend abzutreten, so, und das könne ich jetzt haben, und ob ich jetzt zufrieden sei. Auch das könnte eine rhetorische Frage sein, andererseits fragt eine Fee, vielleicht gibt es sowas wie Qualitätsmanagement in der Abteilung für Wunscherfüllung. Könnte eine große Sache sein in der Feenwelt, Kundenzufriedenheit, und um ehrlich zu sein bin ich noch am Verdauen der Nachricht, ich meine, zuerst ’ne Zahnfee, plötzlich geht’s um bevorzugte Sterbeweisen, alles wirkt, als hätte ich eine Wahl, aber welche eigentlich, und schon sprechen wir von einem schnellen und überraschenden Abgang. Und ob ich jetzt zufrieden bin. Nein, ich bin verwirrt.

Vor mir immer noch dreißig Zentimeter personifizierter Redefluß, froh sein könne ich, sagt er, der Redefluß, also sie, die Fee, dass ich wenigstens den Zeitpunkt offengelassen hätte, sonst …, ach, sei ja auch egal, und sie hätte das gehört mit dem Zu-alt-für-den-Scheiß beim letzten Mal und ich solle mir mal nichts vormachen, ich sei genau in dem Alter für den Scheiß!

Irgendwie hat sie den Faden verloren und es ist zum ersten Mal Ruhe, schön ist das, sie scheint wirklich fertig zu sein. In beiden Bedeutungen der Redewendung, sie hat nichts mehr zu sagen und sie wirkt etwas mitgenommen. Okay, sage ich in die entstandene Stille hinein, aber eigentlich weiß ich nicht so genau, was ich damit meine, denn nichts ist okay.

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Ein paar Stunden später hab‘ ich’s verstanden, und nach dem ich’s verstanden habe, haben wir echt noch ’ne ganze Weile geplaudert, spannendes Zeug, ist eigentlich ’ne ganz Nette, die Fee, hat sonst auch ganz andere Kunden und …, sorry, ich schweife ab, ein anderes Mal davon vielleicht mehr.

Im Wesentliche läuft’s darauf hinaus, dass die „Freundin im Sterbebusiness“ in unserem Kulturkreis gerne mal als Todesengel auftritt, was der Zahnfee aber übertrieben dramatisch vorkommt, weswegen sie in meinem Fall gerne eingesprungen ist als Not am Mann war, also der Fee, dem Engel, egal. Die Freundin hätte Einfluß auf die Umstände und den Zeitpunkt des Todes, allerdings nur begrenzt. Das Alles sei schwer zu verstehen, also eigentlich sagte sie „scheiße-kompliziert“, weil jede „Fucking-Sekte“ ihre eigenen Metaphern für den Abgang und das ganze Drumherum hätte. Den Feen, sagt sie, könne das egal sein, im Grunde seien sie für die Erfüllung von Sonderwünschen zuständig und dabei hätten sie sich nach dem Verhältnis von Alltagswünschen und deren Erfüllung im bis dahin gelebten Leben zu richten. Dafür sei allein der kulturelle Algorithmus zuständig, sagt sie wirklich so, sie bekäme nur den W2E-Score, der da irgendwie rausfällt, wieder Originalton, und das gilt dann so.

An der Stelle war ich knapp davor, mir einfach eine andere Fee zu wünschen, ich meine, wenn interessiert das? Genau, sagt sie, niemand! Oopsy-oopsy-oops, ja, kannst Dir das reden sparen, ich krieg’s auch so mit. Ach, denke ich mir, probehalber mal ’ne Frage …, Ampeln, Fahrräder, Palmen, sagt sie, Treppenstufen, Hydranten und Schornsteine hätten es auch sein können, die hast Du vergessen, außerdem jede beliebige Dreierkombination davon, das wären …, kein Mensch mag Klugscheißer, denke ich. Verstanden, sagt sie, also eigentlich sagt sie „copy that“, und meint damit, dass sie versucht, sich zurückzuhalten. Wir verstehen uns immer besser.

Okay, sagt sie, ich spar‘ mir die Feinheiten, ja, kein Mensch interessiert sich für die Berechnung von irgendwelchen Scores, bin mir nichtmal sicher, ob’s gut wäre, wenn …, nicht ablenken, krätsche ich denkenderweise in den Redefluß, okay, sagt sie, wird alles wegabstrahiert, kriegste nix von mit, also gar nix, nichtmal Feen kommen vor, alles vollkommen im Untergrund, das gesamte Wunscherfüllungsbusiness. Gerade will ich mich über die Anglizismen …, jetzt lenkst Du ab, sagt sie.

Superverkürzt also: wir bekommen im Leben im Wesentlichen das, was wir verdienen, in meinem Fall sei  das „etwas unheitlich“, Klartext, denke ich, kannste knicken, sagt sie, Du schreibst das in den Blog und da will ich nicht …, ist ja auch egal, sagt, sie, bei guten ethischen Durchschnittswerten gibt es da erstaunliche Ausreißer nach oben und unten, und da kann die Freundin keinen vernünftigen Tod draus ableiten, muss ja irgendwie plausibel sein, also für unsereins, bei euch – und wie ich sie verstehe, meint sie damit Leute, die man nicht nur sehen, sondern auch anfassen kann – kommt die Sterberei sowieso immer falsch an.

In meinem speziellen Fall, sagt sie, sei alles schon arrangiert, weißt schon, das Aneurysma der Aorta Ascendens, das während des CT’s so nebenbei gefunden wurde, sie klingt, als sei sie ein bisschen stolz. Ich brauch‘ ’nen Moment, bis ich’s verstanden habe, okay sag‘ ich, nur zur Sicherheit, dass ich da nichts mißverstehe, also Option A …, die Du ja unbedingt ins Universum herausplärren musstest, unterbricht sie mich, … besagt, dass ich ab jetzt jederzeit überraschend sterben könnte …, mit 90prozentiger Sicherheit dann, sorry, mehr war nicht drin, wirft sie ein, … während Option B einige Jahre mehr und alle Chancen auf ein würdeloses Alter und multiples Organversagen an seltsamen, piepsenden Maschinen enthält. Yep, sagt sie, für A einfach weitermachen, für B ’ne häßliche Operation überstehen, ich hätte die Wahl.

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Wie schon erwähnt, wir haben dann noch etwas geplaudert. Und erst viel später habe ich mich gefragt, warum sie die Operation als „häßlich“ bezeichnet hat. Google hatte Antworten und wenn die Euch interessieren, also ernsthaft jetzt, würde die Fee sagen, dann dürft Ihr hier Gespräche mit der Fee (1) weiterlesen

Die Strahlentherapie

Vor die Strahlentherapie haben die Behandlungs-Leitlinien eine Testosteron-Entzugsbehandlung und zwei weitere CT’s gesetzt. Zwingend in dieser Reihenfolge.

Die Testosteron-Entzugsbehandlung wird vom niedergelassenen Urologen durchgeführt und verzögert die Strahlenbehandlung nochmal um zwei Monate. Sie wird von weniger mitfühlenden Zeitgenossen auch „chemische Kastration“ genannt. Libidoverlust und Erektionsstörungen könnte ich für eine begrenzte Zeit und mangels Partnerin noch hinnehmen. Wo ist das Problem, wenn man als Single-Mann nicht vögeln kann und glücklicherweise auch gar nicht will. Das klingt doch fast entspannt.

Schwieriger wird es bei den möglichen „depressiven Verstimmungen“, der Antriebslosigkeit, der Gewichtszunahme oder den Männerbrüsten. Will ich alles nicht haben, allem voran nicht zusätzlich zur ohnehin schon vorhandenen Depression und Antriebslosigkeit. Anders als andere Männer kann ich mir diese Nebenwirkungen sehr genau vorstellen, ich kenne sie und will sie nicht.

Ich kann meinen Urologen am Telefon davon überzeugen, dass wir die Testosteron-Entzugsbehandlung lassen. Wegen „Zugewinn von Lebensqualität in der verbleibenden Zeit“ und so. Ich finde, er sollte noch etwas an seinen Formulierungen feilen. Im Folgenden schickt er mir seine Beratung nochmals schriftlich und ich unterschreibe, dass ich wirklich keine Behandlung wünsche.

Die folgenden zwei CT’s sind schnell vereinbart und entspannt, eines davon wird mit Kontrastmittel durchgeführt, sucht nach Metastasen und findet keine. Das andere ist das „Planungs-CT“, danach habe ich Markierungen auf dem Bauch und den Hüften, mit deren Hilfe ich bei den folgenden Bestrahlungen auf dem Behandlungstisch ausgerichtet werde.

Die Behandlung beginnt am 9.11.22 und wird 28 Einzelbestrahlungen umfassen, ich muss also rund sechs Wochen lang jeden Tag in die Klinik.

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Nach den ersten sechs Bestrahlungen kann ich sagen, dass der Vorgang selbst erstaunlich schnell ist und nichts, was Sorge bereiten muss. Ich sitze zum angegebenen Termin – der selten länger als 15 Minuten überschritten wird – in der Wartezone, werde aufgerufen, ziehe in einer Kabine Schuhe und Hose aus, gehe in den Bestrahlungsraum, lege mich auf die Liege, werde vom Fachpersonal mittels Laser (wie von der Wasserwaage bekannt) und der Markierungen auf Bauch und Hüfte ausgerichtet, dann verlässt das Fachpersonal den Raum und der Rest geschieht automatisiert. Vier Aparaturen werden an beruhigend massiven Aufhängungen um die Liege herum positioniert und im Kreis um meine Hüftregion herumgeführt, meinem laienhaften Verständnis nach dienen zwei davon der Bildgebung, eines der Bestrahlung und eines Dings, nach zwei bis drei Minuten ruckelt gelegentlich die Liege,  ich vermute damit wird die Prostata ins zu bestrahlende Zentrum gerückt, dann wird es etwas lauter, das ist die eigentliche Bestrahlung, die nicht länger als eine Minute dauert.

„Der Mercedes unter den Linear-Beschleunigern.“

Fertig, das Fachpersonal kehrt zurück, gibt die eine oder andere Rückmeldung zu Blase und Darm (davon gleich mehr), fährt die Liege wieder in eine bodennahe Position und entlässt in die Kabine, Hose und Schuhe an und ab geht es nachhause. Wenn alles gut geht, bin ich eine halbe Stunde nach Betreten des Gebäudes wieder draußen. Gegenwärtig rechne ich für die Wege hin und zurück je 30 Minuten (ich fahre unangestrengt mit dem Pedelec), im Best-Case-Szenario habe ich also einen täglichen Zeitaufwand von cirka eineinhalb Stunden.

Das gilt an vier von fünf Tagen, einmal pro Woche habe ich im Anschluss noch einen Termin auf der „Pflege“, der der Abgabe der wöchentlichen Urinprobe und zum Besprechen eventueller Nebenwirkungen dient. Auch hier war bisher alles schnell, freundlich und kompetent. Die größte Sorge scheint man sich hier um die eventuell auftretenden Hautreizungen zu machen, „Patienten-Info 55 – Hautpflege Prostata / Rektum (Männer)“ wird übergeben. Alles weitere bei Bedarf, soweit, so unkompliziert.

Um Langeweile und Routine vorzubeugen bringt das wirkliche Leben sich mit der einen oder anderen Komplikation ein. Blähungen sind so eine Komplikation, weil sie einem vollen Enddarm sehr nahe kommen. Und der soll während der Bestrahlung möglichst leer sein, ganz anders als die Blase, die möglichst voll sein soll. Beide Wunschzustände halten die Belastung des die Prostata umgebenden Gewebes – und damit auch die auftretenden Nebenwirkungen – möglichst gering. Als Patient wünscht man sich das und käme dem auch gerne nach.

An dieser Stelle kann sich jeder vorstellen, wie das für ihn wäre, wenn er zu einem nicht von ihm zu bestimmenden Zeitpunkt X +/- 10 Minuten  die Blase möglichst voll und den Enddarm möglichst leer haben soll. Was die Blase angeht kann das aufgrund der „schnellen Reaktionszeit“ halbwegs gut gelingen. Drei/vier Tage definierte Wassermengen eine definierte Zeit vor Zeitpunkt X trinken und beobachten was geschieht, dann hat man ein ganz gutes Bild davon, was mit der eigenen Blase so möglich ist. Oder eben nicht, „Jugend forscht“ mal ganz praktisch.

Der leere Enddarm ist da eine schwierigere Aufgabe, Reiz und Reaktion liegen weit auseinander und der Input ist variabel. Kommt erschwerend hinzu, dass mein Lebenswandel eher unregelmäßig ist und es bisher wenig Anlass gab, meinen Stuhlgang genauer zu beobachten. Ich halte das für ein gutes Zeichen, Dinge, die gut funktionieren, verlangen selten Aufmerksamkeit. Aber irgendwelche verlässlichen Datenpunkte kommen solcherart unbeobachtet natürlich auch nicht zusammen. Meine Vermutung: Stuhlgang statistisch gehäuft am späten Vormittag. Aber darauf wetten würde ich nicht einmal einen kleinen Betrag.

Weiterhin erschwerend, Verdauung ist eine der unwillkürlichen Körperfunktionen, wir haben nicht wirklich Einfluß darauf. Auch das vermutlich ein Vorteil, nichts hat sich verbessert, seit ich versuche meinen Stuhlgang zu verstehen. Kurz, ob mein Darm zu den Bestahlungsterminen voll oder leer ist, habe ich subjektiv nicht im Griff. Bisher (8. von 28 Tagen) war es fast immer gut.

Wenn es nicht gut ist (siehe oben, Blähungen mit kleinen Masseanteilen), fällt das bei der Bildgebung auf, man muss wieder aufstehen, darf nochmal in den Wartebereich, dort mehr trinken oder auf die Toilette gehen und natürlich nochmal warten. Das Fachpersonal geht mit der solcherart zerschossenen Routine routiniert um, vermutlich kommt so etwas regelmäßig vor. Zwanzig bis dreißig Minuten später liegt man nochmal auf der Liege und hoffentlich ist alles gut.

Ich denke, was man subjektiv aus der Situation macht, ist verschieden. Bei mir ist da ein kleines, rational völlig unnötiges Versagensgefühl. Denn ich möchte ja alles richtig machen, schon aus Eigennutz, aber auch der Fachmenschen und dem ungestörten Ablauf wegen. Ich möchte gemocht werden, und sei es nur, weil ich so ein freundlicher und unkomplizierter Patient bin. Und so lange ich nicht Herr meiner Verdauung bin, wird  das nichts. Dumme Sache, das. So entsteht Stress, den niemand braucht, der aber wirkt – stimmungsmäßig neben-wirkt.

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Heute ist ein bestrahlungsfreier Tag, ob absichtlich oder zufällig genau nach dem 14. von 28 Bestrahlungstagen, weiß ich nicht. Aber ähnlich wie ein Feiertag fühlt sich so ein „unverdient“ freier Tag gut an, fast als bekäme man etwas geschenkt.

Die Strahlenbehandlung wird als nebenwirkungsarm beschrieben, und soweit es mich betrifft, stimmt das bis jetzt. Aber nebenwirkungsarm bedeutet nicht nebenwirkungsfrei, meine Blase wird das gerne bestätigen. Ich muss bestimmt doppelt so häufig pinkeln wie gewohnt, wobei entleerte Menge und gefühlter Harndrang nur noch selten im Verhältnis zueinander stehen. Dies zu guten Zeiten und entspanntem Umfeld.

Zunehmend schwieriger wird es, die maximale Blasenfüllung zum exakten Bestrahlungszeitpunkt hinzubekommen. Wenn ich dann versehentlich zuviel trinke, so geschehen gestern, wird es schnell quälend, weil die Blase verkrampft und anschließend das Denken. Liegenderweise Visionen davon, wie ich mich auf der Liege einnässe, ich krampfe weiter, frage mich, ob die Anspannung jetzt wirklich mein Becken etwas aus der eingestellten Position heraus bewegt hat, vielleicht glaube ich das auch nur. Wenn alles endlich rum ist und ich am Urinal stehe, kommen erstmal nur ein paar Tropfen, das nimmt den Harndrang, aber leert die Blase nicht. Die Blase möchte erst etwas laufen oder Fahrad fahren, bevor sie sich zur vollumfänglichen Entleerung bereit erklärt. Schön, wenn dann eine öffentliche Toilette oder wenigstens ein Wald in der Nähe ist.

Der Doc hat mir die Sache mit der Blase so erklärt: Die Krebszellen sind gegen die Strahlen etwas weniger widerstandsfähig als normale Körperzellen (zum Beispiel die der Blase). In den Randbereichen wird die Blase unvermeidlich mitbestrahlt, aber während das auf die Dauer die Krebszellen wegballert (meine Worte, nicht seine) werden die Körperzellen nur angeschossen. Allerdings müssen die jetzt heilen und so, wie jede Wunde anschwillt, wenn wir uns verletzen, schwellen auch die Körperzellen während des Heilungsprozesses an. Das ruft dann die oben beschriebenen Irritationen hervor, die während der Bestrahlung eher stärker werden, weil wir uns an der metaphorischen Wunde ständig den Grind abkrippeln. Besser wird es erst nach der Behandlung, wenn der Heilungsprozess ungehindert ablaufen kann. Ich freu‘  mich schon drauf.

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Nach einigen Selbstversuchen bin ich zur optimalen Blasenfüllung bei Folgendem angelangt: 65 Minuten vor dem Bestrahlungstermin 0,8 Liter Flüssigkeit, bevorzugt ein Gemisch von langezogenem Schwarztee und Orangensaft im Verhältnis 3:1.

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Heute endlich der letzte Tag der Bestrahlung, zum Schluß nochmal 10 Minuten mit dem Doc. Wie es scheint, bin ich mit wenigen Nebenwirkungen aus der Geschichte herausgekommen. Insbesondere der Darm scheint gut mitgemacht zu haben, die abgefragten Symptome (sehr weicher Stuhl, teils schleimig, Blähungen und Durchfall) hatte ich an zwei Tagen, einmal sehr früh in der Behandlung, und einmal gegen Ende hin. Der gewohnte Rhythmus ist leicht gestört, ich muss öfter auf die Toilette als gewohnt, und die Rosette ist gereizt, weswegen auch immer.

Alle oben beschriebenen Lästigkeiten mit der Blase haben sich in den letzten Behandlungstagen noch verstärkt. Nachts muss ich alle zweienhalb Stunden pinkeln, tagsüber stellt sich oft unerwartet, etwa wenn ich aufstehe, Harndrang ein (betone Drang, wie in dringend), der dann aber in Milliliter gemessen eher enttäuschend ist. Auch ist dieser Drang nicht mit physikalischem Druck zu verwechseln, da drückt gar nichts! Gefühlt funktioniert meine Blase über Entspannung und Schwerkraft, sie läuft halt aus, wenn ich geeignete innere und äußere Voraussetzungen schaffe. Das alles könnte laut Doc die nächsten Tage noch etwas schlimmer werden, sollte dann aber über zwei bis drei Wochen hin ausheilen.  Ein Nachsorgetermin in 4 Wochen ist vereinbart.

Immer auf die Nuss – die Vorbesprechung zur Strahlentherapie

Der Termin zur Vorbesprechung der Strahlentherapie hat stattgefunden. Neben der unvermeidlichen Belehrung zu Risiken und Nebenwirkungen – die es gibt, ich werde nur berichten, wenn sie mich betreffen – gab es einen Überblick zu Ablauf und Technik der Geschichte.

Der technische Aspekt ist der interessantere Teil. Es geht darum, einen etwa walnusskleinen (altersbedingt etwas größeren) Bereich im inneren des Körpers mit Hilfe eines Laser- , äh…, Strahlentrahls, also irgendwie gerichteter Strahlung zuverlässig zu treffen. Da kann auch auf dem Weg zum Ziel einiges kaputtgehen, wir kennen das aus Star Wars. Um den Schaden (walnuss)klein zu halten, wird das Strahlendings auf eine kreisförmige Schiene montiert und um die Walnuss herumgeführt. Und um den Menschen, der ja seinerseits noch um die Walnuss ist. Damit der Mensch schön bleibt, wo er ist, wird er fixiert und bekommt ein paar Fixpunkte auf die Haut gemalt um das zu kontrollieren, was im Gesamtzusammenhang sehr untechnisch und aus der Zeit gefallen wirkt. Zum Stichwort Aus-der-Zeit-gefallen ein Fun-Fact: „Früher haben wir das tätowiert, …“. Wer da nun wie zielt, ist mir nicht ganz klar geworden, aber das geschieht mit Hilfe eines Fachangestellten, eines Computers und zwei CT-Bildern (eines das Planungs-CT, eines tagesaktuell), die übereinandergelegt werden. Bilder übereinanderlegen war auch in der Biopsie zielführend (im Wortsinn, haha), ich bin beruhigt, naja, so mittelmäßig.

Der Ablauf ist unspektkulär, bevor es losgeht wird das oben erwähnte Stamm- oder Planungs-CT gemacht. Da ich dafür einen Zugang gelegt bekomme, wird vermutlich ein Kontrastmittel zugeführt, was wiederum vermuten lässt, dass auch nach irgendwelchen Streuungen gesucht wird. Irgendwann danach kommen 28 Bestrahlungstermine, jeweils an den 5 Wochentagen verteilt über 6 Wochen. Über Nachsorge oder Erfolgskontrolle hat noch niemand gesprochen und ich habe vergessen zu fragen.

Körperlich scheint die Bestrahlung nicht zu anstrengend zu sein, zumindest denkt der Doc, dass es okay ist, wenn ich über die 6 Wochen die Wege von mir zur Klinik mit dem Fahrrad zurücklege.

Im Nachgang der Besprechung stoße ich trotz gegenteiliger Bemühung noch auf einige Unklarheiten. Der Radiologe schickt mich ganz unzweifelhaft noch einmal zu meinem niedergelassenen Urologen, um mit diesem eine zweimonatig vorzuschaltende Hormontherapie abzuklären. Es wirkt, als sei das Standard. Nach dem Urologen-Termin solle ich mich wieder melden, um dann die Termine für die Behandlung festzulegen. Ich wiederhole das vereinbarte Vorgehen ihm gegenüber: erst dies – dann das. Im Folgenden versuche ich meinen Urologen zu kontaktieren und bei kundigen Menschen mehr über die Hormonbehandlung zu erfahren. Dann bekomme ich, ganz ohne vorherige Kontaktaufnahme meinerseites, den Termin für das Planungs-CT zugesandt. Von meinem Urologen habe ich bis dahin nur auf meinem Anrufbeantworter gehört, dass ich mich mal melden solle, wir könnten den Befund besprechen und selbstverständlich würde er alle Überweisungen für die fällige Behandlung schreiben. Es hört sich nicht so an, als sähe er dringende Notwendigkeit zum Gespräch.

Ich werde mich also „mal melden“ und das wichtigste Thema wird die Hormontherapie sein, die ich erst einmal ablehne. Denn, ich habe einen recht produktiven Sommer hinter mir, es ging mir meistenteils gut und depressive Stimmungen waren selten. Ich bin damit zufrieden und möchte, dass das auch so bleibt. Deswegen möchte ich auch niemanden an meiner Biochemie herumspielen lassen, zumal zu den beschriebenen Nebenwirkungen depressive Stimmungsveränderungen und Antriebsarmut gezählt werden.

Als Begründung zur Ablehnung einer Behandlungsmethode ist das etwas oberflächlich und mehr angst- als sachgetrieben. Ich werde mich bemühen, zum Thema Hormonbehandlung noch etwas mehr zu erfahren. Das wird dann ein eigener Beitrag.

Nicht lustig – Prostatakrebs

Mittlerweile werden wir als Publikum sogar von Comedians zur Vorsorgeuntersuchung geschickt, das muss – vom Ergebnis her betrachtet – nicht zwangsläufig lustig sein. Wie überhaupt der ganze Vorgang des Prostataabtastens sehr verschieden erlebt werden kann. Während das manche als mögliche Bereichung ihrer Sexualpraktiken erkennen können, ist es für andere so gut wie der Stock im Arsch. Gerade Mitgliedern der letztgenannten Gruppe sollte dann trotzdem eindringlich zur Vorsorgeuntersuchung geraten werden. Die ist ab 45 Jahren einmal jährlich kostenlos. Kostenlos, das, wenn nichts anderes, sollte doch motivieren.

An dieser Stelle aber erstmal Schluß mit lustig, im folgenden erfahrt Ihr (teils langweilig, teils drastisch) Dinge, die Ihr so genau nicht wissen wolltet. Andererseits , Ihr müsst ja nicht Nicht lustig – Prostatakrebs weiterlesen