Aufenthalt im Boddhi Zendo – Teil 3

Schon im Dezember des letzten Jahres bin ich mit der Bearbeitung des dritten und letzten Teils meiner Zendo-Tagebücher fertig geworden. Dann wurde ich durch eine Folge gesundheitlicher Probleme abgelenkt und erst jetzt, rund drei Monate später, habe ich den Kopf wieder frei genug für Autobiografisches.

Dieser dritte Teil unterscheidet sich sehr von den zwei vorherigen Teilen. Die Unterschiede ergeben sich vor allem daraus, dass ich nicht als Alleinreisender dort war, sondern gemeinsam mit meiner damaligen Freundin anreiste. Die Idee, die Zeit im Zendo gemeinsam zu verbringen, war wenige Tage zuvor spontan aufgetaucht, wir waren unterwegs in Sri Lanka und es bedurfte nur der Umbuchung einiger Flüge von Seiten der Freundin, um den Einfall umzusetzen. Ich weiß nicht mehr, was wir erwarteten, aber wir bekamen, was erwartbar gewesen wäre, Beziehungsarbeit.

In der Bearbeitung habe ich alles gekürzt, was zu sehr in die Details unserer Auseinandersetzungen ging (und sich mit weniger freundlichen Worten auch als peinliche, unreife Scheiße bezeichnen ließe). Erhalten habe ich die Teile, in denen ich nicht über sie, sondern von mir schreibe (zugegeben mit einer regelbestätigenden Ausnahme).

Weitere Kürzungen gibt es dort, wo es um die Koans ging, warum das so ist habe das schon im Vorwort zum ersten Teil erläutert. Andererseits war ich vermutlich nicht ganz so konsequent wie in den ersten beiden Teilen.

Und da ich insgesamt sehr viel weniger geschrieben habe, als während der ersten beiden Aufenthalte, ist dieser dritte Bericht auch sehr viel kürzer. Vieles aus dem Zendo-Leben musste nicht mehr beschrieben werden und insgesamt war ich sehr viel mehr mit anderen Menschen beschäftigt als mit mir. Ich will das nicht werten.

Eine Sache möchte ich noch erwähnen, die ich damals erstaunlich fand und auch heute noch erstaunlich finde. Es ist die Tatsache, das uns auf Anfrage vollkommen unkompliziert ein zweites Bett in mein Einzelzimmer gestellt wurde, wir also in einem unserer Zimmer ein Doppelbett hatten. Doppelzimmer gibt es im Zendo nicht, es gibt sehr viele Einzelzimmer und einen Gruppenschlafraum. Auch deswegen hatte ich eher einen klösterlichen Ansatz erwartet, aber halt trotzdem gefragt. Und wurde überrascht, Zen eben:

„Offene Weite, nichts von heilig.“

Aufenthalt im Boddhi Zendo – Teil 2

Heute habe ich den zweiten Teil der Zendo-Tagebücher, den Aufenthalt im Jahr 2000, eingestellt. Das ist rund 1 Jahr später als gedacht und 2 Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Teils.

 

Dieser zweite Teil unterscheidet sich wesentlich vom ersten Teil. Das Leben im Zendo wird kaum noch geschildert, stattdessen liegt der Schwerpunkt auf meiner jeweiligen Befindlichkeit. Fiebrig, erkältet, einsam, voller Selbstzweifel, identitätskriselnd und grenzdepressiv,  im Kampf mit Sex & Crime oder der Außenbewertung, alles dabei.

Wer sich noch nie mit Zen beschäftigt hat, wird hier wenig darüber erfahren, Praktizierende aber (oder solche, die viel darüber gelesen haben) werden vieles davon wiedererkennen. Sich dem zu stellen, was in uns auftaucht, wenn wir zur Ruhe kommen (wollen), ist Teil des Weges und die Aufgabe besteht darin, es zunächst sein und dann gehen zu lassen.

Einige der oben angesprochenen Themen begleiten mich bis heute. Das ist nicht der Zen-Praxis anzulasten, zuerst, weil ich nicht praktiziere, besonders aber, weil es nicht Ziel der Praxis ist, uns auf wundersame Weise leidensfrei zu machen.

Das ist eine starke Aussage, der manche widersprechen würden. Ist nicht die Befreiung vom Leiden das zentrale Thema im Buddhismus? Ich will diese Diskussion nicht führen (habe auch keinerlei Kompetenz, das zu tun), nur eine Idee zum Selbst-weiterdenken: Meditationspraxis löst nicht das Leiden auf, sondern die Ich-Illussion des Leidenden. Auch dafür gibt es zarte Hinweise in den Tagebüchern, wenn man sie aufzufassen weiß.

Einführung zum ersten Teil
Reisetagebuch Indien, Boddhi Zendo, 25.1. bis 25.2.1999
Einführung zum zweiten Teil (dieser Text)
Reisetagebuch Indien, Boddhi Zendo, 12.1. bis 7.2.2000

Aufenthalt im Boddhi Zendo in Indien

Eine Art Vorwort

Schon im letzten Winter begann ich mein Indien-Reisetagebuch aus dem Jahr 1998 mittels Spracheingabe zu digitalisieren und vor wenigen Tagen habe ich diese Unternehmung fortgesetzt. Wieviel davon ich in diesen Blog aufnehme ist noch unklar. Aber einen Teil dieser Reise, den 4-wöchigen Aufenthalt im Boddhi Zendo, habe ich gerade hier eingestellt. Nehmt diese Zeilen als eine Art Vorwort dazu.

1998 war es deutlich schwieriger, an Informationen über das Boddhi Zendo zu kommen als heute  (hier z.B. ein neueres Video). Das Internet war kaum 10 Jahre alt, Browser gab es weniger als fünf Jahre, ich selbst hatte zwar einen Computer, aber noch keinen Internetzugang. Vor allem aber, es gab nicht die Fülle an Inhalten, wie wir sie heute gewöhnt sind. Kurz, als ich nach Indien aufbrach wußte ich nur, dass es das Boddhi Zendo gab. Wenn es möglich war, wollte ich es finden und eine begrenzte Zeit dort verbringen. Fixiert darauf war ich nicht, es war eine von mehreren Ideen, was ich während meinem sechsmonatigen Aufenthalt in Indien tun wollte.

Über Zen hatte ich bis dahin nur gelesen. Meine Erfahrungen beschränkten sich auf sporadische Versuche alleine zu üben, zu meditieren. Aber wie vielen anderen ist es mir nie gelungen, eine Regelmäßigkeit zu entwickeln, die für jedes Üben entscheidend ist. Dennoch waren diese Versuche wichtig, denn ich wusste zumindest, wie man sitzt. Ich wußte die Meditationshaltung einzunehmen und meinen Atem zu zählen. Ich kannte meinen unruhigen Geist und meine schmerzenden Fußgelenke. Kurz, auf sehr unbestimmte Weise wußte ich, worauf ich mich einlassen würde, wenn ich das Zendo fände.

Schließlich traf ich in Bodhgaya, dem touristisch gut erschlossenen Ort, an dem Buddha Erleuchtung fand, einen anderen Reisenden, der das Zendo besucht hatte und mir die Adresse gab. Die lag so ziemlich am anderen Ende von Indien, was aber nur nur bedeutete, dass es etwas länger dauerte, bis meine Reiseroute mich dort hinführte.

Vor Ort war musste ich dann noch einige Tage warten, bis ein Zimmer frei wurde, da ich nicht angemeldet.  Aber wie überall in Indien bewiesen auch hier die Menschen vor Ort Flexibilität. Eine (ent)spannende Zeit begann.

Die Tagebuchaufzeichnungen selbst werde ich unkommentiert und im Wesentlichen unverändert lassen. Dennoch gibt es Dinge, die ich aus persönlichen Gründen nicht teilen möchte, zum Beispiel Details meiner damaligen familiären Situation oder sexuelle Phantasien. Das ist unmittelbar einzusehen und bedarf keiner Erklärung. Von anderen Dingen, die ich gerne für mich behalten möchte, ist mir allerdings selbst nicht klar, warum das so ist. Es geht um meine Koan-Praxis, das zu lösendene Koan und Details zum Dokusan. Dabei könnte ich mich leicht auf traditionelle Gründe herausreden. Es gibt Linien und Meister, die strikt davon abraten. Wie die Haltung von Ama Samy, dem Gründer und Meister des Boddhi Zendo, dazu ist, weiß ich nicht; ich erinnere keine expliziten Aussagen von ihm dazu. Im Zendo-Alltag war allerdings – auch bei den älteren Schülern – keine spezielle, auf das Thema bezogene Zurückhaltung zu spüren.

Die entsprechenden Textstellen im Tagebuch unkommentiert herauszunehmen wäre nicht schwer und würde den Textfluß nicht stören. Aber da regt sich mein Chronisten-Gewissen, den Koan-Praxis und Dokusan gehören ja unzweifelhaft zum Zendo-Alltag, ganz so, wie Gemeinschaftsarbeit (Samu) oder Meditation. Also werde ich die Auslassungen kennzeichnen und Euch stattdessen hier mit Zitaten aus Wikipedia vertrösten.

Dokusan
Mit Dokusan (jap. 独参, „Einzelbesuch“) bezeichnet man die Begegnung unter vier Augen mit dem Meister im Rinzai-Zen […].

Dokusan ist eine der tragenden Säulen der Zen-Übung. […] Häufig dient das Dokusan der Bearbeitung von Kōans und der Überprüfung des Übungsfortschritts des Praktizierenden und seiner/ihrer Annäherung an die „Wesensschau“ (Kenshō).

Dokusan unterliegt einem festen Ablauf, der den Gang zum Raum des Meisters, das Eintreten in den Raum, das Grüßen des Meisters, den Ablauf des Gesprächs und das Verlassen des Raumes umfasst. […] Der Meister kann zu jedem Zeitpunkt die Begegnung durch das Läuten einer kleinen Handglocke beenden. Dann muss der Schüler sich sofort – unter Einhaltung aller üblichen Rituale – entfernen und weiter an seiner Aufgabe arbeiten.[…]

https://de.wikipedia.org/wiki/Dokusan

Konkret sah das so aus, dass wir Schüler dann schweigend in einer Reihe vor dem Raum standen, der für dieses Ritual vorgesehen war, und darauf warteten, das das Glöckchen läutete. Mich hat diese Situation immer ziemlich angespannt. Die Themen: Wie setze ich mich zu einer Autorität in Beziehung? Wohin mit den Gefühlen der Unterlegenheit? Was zum Buddha mache ich hier eigentlich?

Zumindest die letzte Frage ist oberflächlich leicht zu beantworten; ich versuche, ein Koan zu beantworten.

Ein Kōan […] ist im […]chinesischen Chan- bzw. japanischen Zen-Buddhismus eine kurze Anekdote oder Sentenz, die eine beispielhafte Handlung oder Aussage eines Zen-Meisters, ganz selten auch eines Zen-Schülers, darstellt.

Verlauf und Pointen dieser speziellen Anekdoten wirken auf den Laien meist vollkommen paradox, unverständlich oder sinnlos.[…] Trotz ihrer vordergründigen Unvernünftigkeit und Sinnlosigkeit verfügen sie über einen historischen Kern, der auch intellektuell nachvollziehbar ist und Aspekte der Chan-Philosophie ausdrückt. Im Chan und Zen werden Kōans als Meditationsobjekte benutzt.

Das bekannteste Kōan, das inzwischen auch im Westen Allgemeingut geworden ist, ist die Frage nach dem Geräusch einer einzelnen klatschenden Hand […].

https://de.wikipedia.org/wiki/K%C5%8Dan

Die Antwort lässt sich nachlesen. Nicht nur für dieses, sondern für jedes Koan. Dennoch ist eine authentische Antwort gefordert. Das Dokusan als Situation ist in sich eine paradoxe Aufgabe. Eine Aufgabe, der jeder auf sehr persönliche Weise begegnet. Womit ich mir am Ende dieser Zeilen doch noch klar geworden bin, warum ich diesen Teil der Tagebuchaufzeichnungen nicht mit Euch teilen möchte. Er ist nicht nur persönlich, sondern zu persönlich.

Warum? Abschließend nochmal Wikipedia:

Ähnlich einer therapeutischen Sitzung ist die Beziehung zwischen Schüler und Meister oft stark aufgeladen und es kommt zu großen geistigen Kämpfen. Ist der Meister „sein Salz wert“, dann wird der Schüler allerdings auch nach größten Frustrationen immer wieder durch sehr dichte Momente von Erfahrung und im Durchbrechen der Schranken des Koans zu tiefen Einsichten gebracht, woraus im Laufe der Zeit eine tiefempfundene Verehrung für den Lehrer entsteht. Die langfristige Aufgabe des Meisters (Roshi) ist, wie die eines jeden Lehrers oder auch Therapeuten die, dass der Schüler sich vom Meister völlig emanzipiert und schließlich abnabelt (was der Verehrung keinen Abbruch tut). Im Zen spricht man sogar davon, dass ein Schüler, der „nur“ genauso gut ist wie sein Meister, diesem nicht ebenbürtig ist. Darum soll der Schüler die „Schultern des Meisters besteigen“ – darin spiegelt sich die geistige Freiheit des Zen.

Nun, von alldem bin ich weit entfernt. Und dennoch heute etwas näher, als ich es damals war. Deswegen möchte ich Euch abschließend daran erinnern, dass Ihr etwas lesen werdet, das ich heute so an einigen Stellen nicht mehr schreiben oder denken würde.

Hier geht es zu Tagebuchaufzeichnungen.

 

Rangoli

Rangoli? Warum Rangoli? Weil ich gerade mit der Spracherkennungsfunktion von Google herumexperimentiere und deswegen versuchsweise Teile aus meinem indischen Reisetagebuch von 1998 einlese. Das geht, nun, gerade so „gut genug“. Vielleicht werdet ihr hier im Blog noch mehr daraus zu lesen bekommen.

Heute lässt sich auch bei oberflächlichster Recherche über Wikipedia oder die Suchmaschine Deines Vertrauens mehr über Rangoli erfahren, als ich damals hoffen durfte, bei meiner Rückkehr in der Stadtbücherei darüber zu erfahren. Also habe ich mit Blei- oder Filzstift Rangoli ins Tagebuch kopiert. Nicht die großen, farbigen (die bekam ich gar nicht zu sehen), sondern die kleinen, unspektakulären vor den Haustüren in den Dörfern und Kleinstädten: „dot rangolis„.

14.11.1998, 40. Tag, samstags

[…] Die Muster auf dieser Seite sind traditionelle Zeichnungen, die vor der Türschwelle auf den Boden gezeichnet werden. Nur in ein Haus mit solchen Zeichen werden die Götter eintreten. Früher wurden sie mit Reismehl ausgestreut und die kleinen Ameisen ernährten sich davon, was den zusätzlichen Nutzen brachte, dass sie nicht in das Haus eindrangen. Die Götter betreten nur ein reines Haus. So also die wirkliche Bedeutung. Heute wird mit Kreide gezeichnet und die hygienische Bedeutung ist verloren gegangen.

18.11.98, 44. Tag, Mittwoch

Habe heute Morgen versucht, das nebenstehende [Rangoli ]zu kopieren und bin dabei gescheitert. Mungai – die Frau, die es gestreut  hat – hat das beobachtet und mir später gezeigt, wie es gemacht wird.

Für all diese Muster wird zunächst ein Netz aus Punkten gezeichnet, je nach Grundform als Rechteck, Quadrat oder Sechseck. Für das Sechseck werden die Punkte in der Mittelreihe und der oberen Reihe angegeben, im untenstehenden also 11/6. und dann wird das Motiv um diese Punkte herum entwickelt. Wie fast überall gibt es zwei verschiedene Richtungen. Die eher abstrakten und überaus kompliziert entworfenen Muster und die naturalistischen Darstellungen. Und natürlich gibt es auch Mischungen aus allem.

Rangoli

Als meine Begeisterung für die Rangoli mal deutlich war, wurde Papier und Bleistift geholt um mir ein paar Muster zu machen und zu schenken.

Kurz drauf wurde das Musterbuch geholt und demonstriert, wie einfach das alles ist, selbst die Oma kann es. Nebenbei: sie malt die Rangoli jeden Morgen neu und jeden Morgen ein anderes. Das Musterbuch war ein alter Kalender, in dem einige Vorlagen aus Zeitungen eingeklebt waren, zum Teil ziemlich komplizierte Sachen, dann aber auch mal wieder sehr einfache naturalistische Darstellungen. Und wie das hier so ist, weil ich so viel Freude daran habe, bekomme ich morgen früh (6:30 Uhr) demonstriert, wie das gemacht wird, wenn es richtig toll sein soll, nämlich farbig. Bin gespannt und freue mich drauf, aber manchmal finde ich es unheimlich, wie bemüht die Menschen hier um uns sind.

19.11.1998, 45. Tag

Heute morgen die Demonstration, mit Orginalzutaten, also Reismehl aus der Kokosnussschale. Das Mehl zu streuen erfordert einige Übung, wie ich beim anschließenden Selbstprobieren merkte. Eine einzelne Linie geht noch, aber die Doppellinie, bei der das Pulver rechts und links der streuenden Fingerspitzen herunterfällt, ist mir nicht oder nicht ausreichend gut gelungen. Leider gab es keine Farben, weil das farbige Pulver feucht und klumpig geworden war. Später hat die Oma mit gefärbtem Wasser einige der Doppellinien ausgemalt, aber ich glaube, das war nicht ganz das, was es hätte sein können.

Auf der nächsten Seite habe ich einige Rangoli aus Mungais Musterbuch kopiert, die Anzahl beweist erstens mein Interesse (die Nähe zu meinen Mandalas ist offensichtlich) und zweitens, dass es hier im Moment mit der Arbeit schlecht aussieht.

[…]

Das Rangoli nebenstehend [oben in rot] ist von Mungais Mutter, die auch hier lebt. Mr. Krishna Kurma versucht das ganze hier mehr als Familie zu begreifen und dazu gehört nun mal auch die Mutter der Buchhalterin, wenn sie ansonsten unversorgt bliebe. Oder, anderes Beispiel, da muss die Mutter des Fahrers ins Krankenhaus. Er fährt mit und managed das, versucht es zumindest, auch wenn dafür seine eigentliche Arbeit liegen bleibt.

Der letzte Absatz ist Teaser für weitere, mögliche indische Themen. Gebt mir mal in den Kommentaren Bescheid, ob ihr mehr davon lesen wollt.

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Als Hobby-Völkerkundler versucht man sich natürlich auch an einer Kategorisierung:

Oder der Rekonstuktion ansonsten verlorener Artefakte:

Reisetagebuch Indien, Boddhi Zendo, 7.1. bis 28.1.2001

Reisetagebuch Indien, Boddhi Zendo, Teil 1, 25.1. bis 25.2.1999
Reisetagebuch Indien, Boddhi Zendo, Teil 2, 12.1. bis 7.2.2000

Vorwort zum 3. Teil (veröffentlicht am 31.3.2023), Kontext zählt.


7.1.2001, Sonntag
Wieder im Zendo. Ankunft gestern Morgen mit den Nachtbus aus Madras, nachdem wir den Donnerstag und Freitag noch einmal in Mahabalipuram verbracht hatten. Hier hat sich wenig und doch zugleich viel verändert. Vielleicht am besten beschrieben als atmosphärische Veränderung, die sich an einigen wenigen Äußerlichkeiten festmachen lässt.

Zunächst ist das Haus fertig, das letztes Jahr nur als Rohbau zu sehen war. Es steht links neben der Zufahrt zum Zendo und Ama Sami wohnt darin. Unmittelbar davor gibt es nun ein Tor und an dieses Tor schließt ein Zaun an, der oben mit Stacheldraht bewehrt ist. Ich mag das nicht, mit Stacheldraht geschützt und zugleich eingeschlossen zu sein.

Als nächstes gibt es einige „hilfreiche“ Schilder,  die den Umgang mit den Waschbecken oder der Bücherei “lehren”. Alles Dinge, die in den Jahren davor noch “mündlich überliefert” wurden, was zumindest den Eindruck eines freien Umgangs miteinander erzeugte. In der Bibliothek ist es nun nicht mehr möglich, sich selbst in der Ausleiheliste ein- oder auszutragen.

Kurz, einige Äußerlichkeiten lassen den Eindruck einer relativ rigiden Gesamtanlage der Dinge hier entstehen. Gestützt wird dieser Eindruck noch durch die Altersstruktur. Die meisten hier dürften zum Teil wesentlich über 50 Jahre alt sein.

Sehr viel schöner als in den Vorjahren ist der Innenhof gestaltet.

8.1.2001, Mittwoch
Beim Samu hat mich das Toilettenreinigen erwischt und während ich zuerst dachte, es sei eine Strafe dafür, dass ich den Toilettendienst zu Hause so sehr vernachlässigt habe, könnte es auch Belohnung sein für ich-weiss-nicht-was. Denn: die Arbeit ist erstaunlich schnell erledigt und danach habe ich Zeit, mich einer anderen Arbeit meiner Wahl anzuschließen.

<O>

Eine Beobachtung allgemeiner Art: Das Essen ist schlechter geworden, oder aber ich kann es nicht mehr so genießen. Insgesamt ist es zu wenig gewürzt, was einerseits daran liegen könnte, dass die Köchinnen versuchen, auf den europäischen Geschmack einzugehen. Andererseits aber auch in den Speisevorschriften der Yogis, die scharfes Essen als der Meditation abträglich ansehen, begründet sein könnte.

9.1.2001, Dienstag

Um beim Essen zu bleiben: gestern Abend eine kurze Szene mit D. beim Abendessen. […]

[…]

[…] Nach einiger Zeit schlüpft sie neben mir ins Doppelbett, da ich in meinem Zimmer habe und wir schlafen Arm in Arm ein. Mit keiner Lösung und der Vermutung, morgen so aufzustehen, wie wir heute schlafen gehen.

<O>

Heute morgen ein frühes aus dem Bett schlüpfen, noch vor dem Morgengeklingel. Meditation, wortloses Aneinander-vorbeigehen, meine Versuche, über kleine Berührungen mit Ihr Kontakt aufzunehmen, werden eher aus Höflichkeit, denn aus Neigung beantwortet.

10.01.2001 Mittwoch
11.01.2001 Donnerstag

12.01.2001 Freitag
Alles, was einen direkt berührt, berührt die anderen indirekt.

13.01.2001 Samstag

[Ich lese] Laurence G. Boldt: Zen and the art of making a living [und notiere seitenweise Fragen daraus, die ich mir  irgendwann einmal beantworten möchte. Was nie geschehen wird.]

14.01.2001 Sonntag

15.01.2001 Montag
Gefühle großer Verlassenheit, gestern ein freier Tag, zugleich Pongal – Erntedankfest – hier. Auf einem unserer Wege ins Dorf blieben D. und ich auf einem Felsen sitzen, Aussicht auf herrlichste Berglandschaft und Mittagsmond, und sprachen. […]

[…]

Nur allzu leicht räume ich in Gesprächen wie dem gestrigen ein, dass unsere Beziehung enden könnte, enden wird. Dass da ein junger zeugungsfähiger Mann kommen wird, mit dem sie das Kind haben könnte, von dem sie träumt (oder dass sie vorschiebt, um einen “objektiven” Grund für unser nicht-zusammen-sein-können zu haben). Ich kann diese Zeit leicht anschauen und darüber reden, dass es vielleicht der Sinn unserer Beziehung war, ihre Vater-Tochter-Dinger aufzulösen oder doch wenigstens ertragbar zu machen. Das tut beim drüber reden nicht mal weh, obwohl mir schon jetzt davor graut, die Trennung real zu erleben.

In meinen Fantasien bleibe ich mit ihr freundschaftlich verbunden. Ich bin ihrem Kind ein Onkel und manchmal besucht sie mich auf der „Wiese“.

Sonne.

Neben all dem haben wir ein “zweites Leben“, indem wir Pläne für unsere gemeinsame Zukunft machen oder doch zumindest ernsthafte gemeinsame Alternativen zu unseren jeweiligen gegenwärtigen Leben erwägen. Diese Alternativen sind nicht weniger gewollt, in nichts weniger mögliche Zukunft als meine Trennungsphantasien, auch wenn das zunächst unvereinbar klingt. Vielleicht geht es auch deswegen zusammen, weil ich diese gemeinsame Zukunft auch alleine leben könnte.

[…]

<O>

Heute morgen dann diese Verlassenheit, ausgelöst dadurch, dass sie sich, wie an den anderen Tagen zuvor auch, doch ohne dieses Ergebnis, an einen anderen Tisch setzt. Es ist einzig und allein meine Verlassenheit, bis zum Morgen haben wir gemeinsam in unserem Bett geschlafen und nach dem Frühstück versuchte sie, durch kleine Gesten Kontakt aufzunehmen.

Überwiegen die guten oder die schlechten Tage?

Beim Pinkeln schaue ich an mir herunter und mein Fuß ist mein Fuß, als ich Kind war. Wir gehen hier in der Zeit vor und zurück, ganz nach Belieben. Nur nicht unserem Belieben!

16.01 01. Dienstag
Der erste volle Tag des Sesshin.

17.01.2001 Mittwoch
18.1. 2001 Donnerstag

19.01 2001 Freitag
[Mein zweites Koan]

Dies also mein zweites Koan. Nachdem ich letztes Jahr ganz und dieses Jahr bis heute ausgesetzt habe, bin ich heute zum Dokusan, “um mich wieder ins Spiel zu bringen”.

Im Teisho gestern wurde mein erstes Koan erwähnt. Ich erinnere mich wieder daran, [… u]nd während im letzten Jahr das nur-sitzen vollkommen okay war, schien es mir dieses Jahr zunehmend ineffektiver, meint: bereichernd.

Wichtiger aber scheint mir der Gedanke und die Formulierung “wieder ins Spiel zu wollen”. Ich habe einen kurzen Moment gezögert ihn auszusprechen und er scheint mir auf so vieles mehr anzuspielen, als nur auf das Koan. Zuallererst wohl mein Berufsleben, ich habe hier eines der vielen How-to-lead-a-live-Bücher gefunden, aus Zen-Perspektive selbstverständlich.

Und darin geblättert, ja, auch anstecken lassen von der Möglichkeit (!), ein anderes, ausgefüllteres Leben führen zu können.

Das Schweigen während des Sesshins ist zu zweit noch einmal anders als alleine. Sich nicht mit Worten aufeinander beziehen zu können, ist doppelt schwer, wenn es sonst nichts gibt. Mir kommt es vor, als risse unsere Beziehung gänzlich ab, wenn wir schweigen. Meine Versuche, wenigstens über Blickkontakt in Beziehung zu bleiben, werden nicht erwidert, oder falls doch, stürzen sie mich in Unsicherheit? Ist dieser Blick ein liebender?

Vielleicht deswegen haben wir uns gestern eine Auszeit vom Schweigen genommen und, wenn wir alleine waren, miteinander gesprochen und geschwätzt. Wie wichtig gerade auch das Geschwätz ist, ist mir erstmals klar geworden. Es versichert uns der Beziehung, wo wir ihrer unsicher sind.

Was aber, wenn da keine ist? Manchmal fühlt es sich für mich so an. Ich spüre keine Verbundenheit, nichts Gemeinsames, suche das Dauerhafte unseres Paar-seins. Worin bildet es sich ab? Darin, dass wir manchmal etwas näher beieinander sitzen, ja, gar ein Zimmer. gemeinsam bewohnen? Und manchmal neben-, manchmal miteinander schlafen?

Gut, das ist ein schöner Anfang! Aber langt das aus? Nein, ich wünsche mir mehr. Wenn ich auch nicht genau benennen kann, wie dieses Mehr heißt. Ein Teil dieses Mehr heißt sicher. “Annahme”. Ich will angenommen sein, so wie ich bin. Ich wünsche mir das Gefühl, dass es ausreicht, zu sein, was ich bin, um anerkannt zu sein.

20.01.2001 Samstag

Dokusan: “[Mein zweites Koan]”

Auf abstrakter Ebene ist es recht einfach, das Koan zu sein. […]

Sobald dann aber ich den Versuch unternehme, in die Situation zu gehen, sie mir bildhaft vorzustellen, gibt es wieder “zwei” […].  Alle Versuche uns zwei näher zueinander zu bringen … .

Soweit und etwas gerafft mein “first approach“ an den Koan […]. Mein erster Gedanke, eine kleine Pantomime  aufzuführen, scheiterte an der Idee zur Durchführung. Wie stellt man [die Antwort auf das Koan] pantomimisch dar? Und schon war der Moment herum, den ich gehabt hätte. “Next time!”

<O>

 

Kontinuität
Verlässlichkeit
Zuwendung
Kontakt
Annahme

Wie eine Kerze im Zug.

<O>

Was „wir“ heute abliefern, ist ohne Worte im wahrsten Sinne des nicht-gesprochenen Wortes.

[…]

<O>

[…]

21.01 01. Sonntag
Ende des Sesshin nach dem Frühstück. Gewaschen und umgezogen sitze ich in der Sonne vor meinem Zimmer.

<O>

Es scheint, als ob die gestrige Dunkelheit zum allergrößten Teil, sagen wir so um die 80 Prozent, in meinem Kopf war. Überbewertungen und -reaktionen. Vielleicht auch ein wenig gegenseitige Hochschaukelei. Nichts auf jeden Fall, was die innere Raserei rechtfertigen könnte, die ich veranstaltet habe. Nichts vor allem, was nicht mit ein bisschen Nachgiebigkeit aus der Welt zu schaffen gewesen wäre. Aber ich musste ja den Endkampf um den Zustand unserer Beziehung daraus machen.

Was ist daraus zu lernen? Zunächst einmal, da gibt es das Gefühl, vollkommen unverbunden zu sein. Es gibt das Fehlen jeder inneren Sicherheit, dass “sie mir gut ist”. Es gibt in mir die Bereitschaft, mich zum eigenen Schaden entgegen meiner gegenteiligen Wünsche zu distanzieren. Es gibt die Bereitschaft, Situationen nach folgendem Muster zu strukturieren: Sie behandelt mich schlecht und ich werde das nicht akzeptieren.

Ich neige zur Unnachgiebigkeit.

Festzuhalten ist auch, dass ich unglaublich viel Energie damit verschwende, wenn ich so “schweigend vor mich hin wüte”. Da ist kaum etwas für wirkliche Meditation übrig geblieben.

Nachdenken möchte ich darüber, was es bedeutet, dass meine inneren Dialoge so verletzend sind. Vieles würde ich in einem realen Gespräch so nicht sagen, weil ich fürchten würde, schwere oder nicht heilende Wunden zu schlagen.

Als Aufgabe habe ich nun „zurückzukehren“. So viel Abkehr, so viel Entfernung war in meinen Gedanken. Und diese Gedanken haben für mich Realitätswert gehabt, man(n) wechselt nicht so einfach seine Realität.

Ich muss mich also nicht, oder deutlich weniger, schützen. Muss nicht heute die Spielregeln unserer zukünftigen Beziehung auskämpfen. Muss mich nicht darum sorgen, ob ich derjenige bin, der immer kommt. Muss mich nicht ungeliebt fühlen. Vor allem muss ich mich nicht entfernen um all diese miesen Gefühle ein für allemal auszuschließen

<O>

Einige schöne Rückmeldungen erhalten. Es war angenehm, mit mir Gemüse zu schneiden (Wir waren auch nach meiner Meinung ein gutes Team). Und ich hätte erstaunlich ruhig gesessen. Ein Lob, das mich dann doch erstaunt, weil es sich nicht mit meiner Innenwahrnehmung deckt.

22.01.2001, Montag
23.01.2001, Dienstag,  [Mein drittes Koan]
24.01.2001, Mittwoch

25.01.2001 Donnerstag
[Donnerstags besteht die Möglichkeit ins nahe gelegen Städtchen, Kodaikanal, zu fahren.]

<O>

„Es gibt keine Lösung, weil es kein Problem gibt.“
Marcel Duchamp

<O>

Wie es mit dem “[Koan]kram” weiterging?

Ich ließ drei Tage herumgehen bis ich schließlich wieder zum Dokusan ging, nicht um das Koan zu lösen, sondern um im Gespräch zu bleiben. Ich sagte, ich wollte nur sicherstellen, dass er keine kleine Pantomime von mir wünsche, erstens, und zweitens seien mir die metaphorischen Bedeutungen [des Koans] durch den Kopf gegangen – Wünsche, Begierden – die zu zeigen ich noch viel weniger imstande sei.

Gewiss, manchmal seien kleine Darstellungen gefragt und manchmal gehe es auch um die Metaphern. [… U]nd setzt sich hin und schließt die Augen und ist [das Koan]. Vermutlich zumindest, denn so genau war das von außen nicht zu erkennen, was innen geschah.

Kurze Pause, dann “I will give you and new koan: [Mein drittes Koan]” Ich wiederholte die Frage und war entlassen.

So also bin ich nun bei meinem dritten Koan. Ohne die ersten zwei gelöst zu haben. Oder habe ich das, ohne es zu wissen? Ich bin mit neuem Interesse an der Literatur nun auf der Suche nach Hinweisen darauf, wie mit Koans umzugehen ist. Wichtig ist wohl, zum Koan zu werden, wie auch immer das erreicht wird. In einigen Schulen gehört es wohl dazu, dass Koan vor dem Versuch, es zu lösen, erneut aufzusagen, Wort für Wort auswendig. In anderen (oder den gleichen?) wird es während der Meditation in Gedanken Wort für Wort rezitiert. Ich muss mehr darüber herausfinden.

<O>

Eigentlich möchte ich über D. und mich schreiben, aber was? Unseren Groll aus dem Sesshin haben wir ab-, vielleicht auch nur beiseitegelegt. Ein Gespräch während des Aufstiegs auf den Peak nahm den für uns so typischen Verlauf einer ersten und langsamen Annäherung, der dann der Gesprächsabbruch seitens D. folgt, den sie oft so setzt, dass einfach durch räumlichen Abstand oder Menschen drumherum eine Fortsetzung wirklich unmöglich ist. Ich bleibe dann „angebrochen“ zurück und kann mich mit mir selbst unterhalten. Einziger Vorteil, ich muss nicht auf die Formulierung achten, denn da ist niemand mehr, den ich verletzen könnte.

Im Ernst, diesen Verlauf haben seitdem noch zwei weitere Gespräche genommen und ich vermute auch einige zuvor, ohne dass ich ihn zu diesem Zeitpunkt schon hätte benennen können. Aber was geschieht da? Ich glaube, sie wird einfach ungeduldig, weil sie von mir keinen Beitrag erhält, wie sie ihn erwartet. Was genau ihre Erwartung ist, weiss ich nicht.

Ganz allgemein formuliert sollte ich wohl mehr von mir erzählen. Leider erkennt sie nicht immer, wenn ich das tue. Und auf dem Weg zum Peak habe ich mich an einer Stelle dreimal wiederholen müssen, nur um festzustellen, dass sie meine Innenweltdarstellung unbedingt als Außenweltdarstellung diskutieren und bewerten wollte. Ein weiterer Versuch scheiterte am steilen Aufstieg […].

Dass ich nicht ihr Therapeut sei, muss ich wohl mal unbedacht gesagt haben, und auch dies trägt sie mir nach. Ebenso meine Anspielung auf den Beginn einer Therapiesitzung, als sie mich nach ich-weiss-nicht-mehr-was fragte. Dabei hätte ich mich durchaus darauf eingelassen. Mir ist ihr in-mich-dringen nicht so unangenehm, wie sie denkt.

Gewiss auch deswegen nicht, weil ich in der Vergangenheit bemerkt habe, dass sie solche engen Momente als Vorspiel benutzt. Geteilter Seelenschmerz als Stimulanz. Da scheinen beide von beidem etwas zu haben. Warum also nicht? Hat vor allem den Vorteil, dass es funktioniert. Ganz anders als ihre erfolglosen Versuche, mich hervorzulocken, wenn ich ohnehin schon sauer und umso mehr verschlossen bin. Bis ich dann halbwegs gesprächsfähig bin, ist ihre Geduld schon erschöpft und siehe-oben.

<O>

Enttäuschung also auf beiden Seiten. Sie hätte sich wohl mehr Unterstützung, Zuspruch oder Nachfrage bei Ihren persönlichen Problemen gewünscht. Ein Anspruch, dem ich nur zeitweise und mit Mühe nachkomme

Aber auch meine Hoffnung auf ein etwas freudvolleres und unbeschwerteres Leben hat sich nicht erfüllt. Stattdessen kämpfe ich nun an in fast allen Lebensbereichen mit dem Gefühl des Unvermögens.

26.01 Freitag
27.01 Samstag

28.01 Sonntag
Unser letzter Tag morgen fahren wir ab. Zunächst nach Madurai, wo wir noch zwei Tage verbringen werden. Danach nach Madras oder Mahabalipuram, wo wir nur noch auf den frühen Abflug warten werden.

Heute morgen habe ich noch einige Blumensamen aus dem Garten entnommen. Und auch einen Ableger der Minze. Ich möchte auch versuchen, einige Ableger des Koreagrases großzuziehen, es wächst so hübsch puschelig. Das mag ein Risiko sein, weil es angeblich nicht winterhart ist.

Nun, ich werde sehen.