25032 – Risiken

Zeichnen zu lernen hat vielerlei positive Effekte. Einer davon ist, dass es erlaubt, alte Gedanken neu zu denken. Wenn mensch den Zeichenprozess als Metapher begreift, bildet er lange Gewußtes, vielleicht auch nur Gedachtes, neu ab.

Ein Beispiel: Die mit Aquarellstiften nachkolorierte Strichzeichnung von gestern beendete ich zu einem Zeitpunkt, an dem ich aufhören konnte – so habe ich das auch beschrieben – und zu einem Zeitpunkt, an dem ich die nächsten Schritte bedenken wollte. Ehrlicherweise sollte ich schreiben “ die nächsten Schritte hinauszögern wollte“, denn eigentlich war klar, was zu tun sei. Das Bild – und ich nehme es hier als Metapher für mein Leben – war zu flach, zu wenig dynamisch, ihm fehlte Kontur. Im ersten Anlauf ist das bei mir oft so.

Es geht um Risiken, die großen, nicht die kleinen. Im Falle des Bildes geht um das ganze (!) Bild, ich könnte es komplett (!) verderben, nicht nur etwas schlechter machen. So zumindest meine Einschätzung. Eigentlich geht es nur um Schatten, das Bild braucht sie, um Tiefe zu gewinnen (genau genommen braucht das Bild noch mehr, aber um den Gedanken weiter zu spinnen, genügen die fehlenden Schatten). Das mit den Schatten ist so ein Ding, seitdem ich um mein Problem damit weiß, schaue ich mir an, wie andere das lösen. Was soll ich sagen, die sind halt mutig, machen Sachen, die mir nicht einfielen, tragen dick auf, verwenden harte Kontraste und grell-abgedunkelte Farben. Nichts, womit mensch sich im wirklichen Leben Freunde macht. Oder vielleicht doch?

Soweit es das Bild betrifft, weiß ich zumindest ungefähr, was zu tun ist, ich kann es bei anderen ja abschauen. Bin generell auch bereit dazu. Und bleibe dann doch zu zaghaft, zu vorsichtig.

Und hier muss ich einen kleinen Bogen zu meiner Therapie schlagen. Bisher konnte ich mich mit meiner Therapeutin nicht darauf einigen, wie ich in Bezug auf Risiken in der Welt stehe. Sie hält mich für jemanden, der gerne mal ein zu großes Risiko eingeht, ich halte mich für jemanden, der nur Risiken eingeht, die er vorher gut kalkuliert hat. Und ja, das sind dann immer noch Risiken, aber halt solche, die ich bewusst eingehe und für tragbar halte.

Und dann gibt es Risiken, die ich gerne eingehen würde, echte, nicht kalkulierbare Risiken, von denen ich glaube, dass sie es Wert sind eingegangen zu werden. Aber vor denen ich zurückschrecke, weil ich nicht weiß, ob sie (er)tragbar sind.

Kurz zurück zum Zeichenprozess. Es ist mir schon mehrfach passiert, dass ich während des Zeichnens versuchte mutig zu sein, dann kurz erschrak und dachte: „Oh Scheiße, eben hast Du’s ruiniert.“ Meistens war’s dann doch okay, oder wenigstens okay-ish. Es ist, als könnte ich nicht mutig genug sein für diese Alles-oder-nichts-Risiken.

Kleine Motivsammlung: Zeichenprozess, alte Gedanken neu denken, Mangel an Dynamik und Kontur, Therapie, Risiken und das Unvermögen, sie einzugehen. Es ist an der Zeit, das alles zusammenzuführen.

Meine Therapeutin und ich führen eine Liste mit Themen, die wir mal kurz berührt habe, sie aber in der konkreten Gesprächssituation nicht weiter verfolgen konnten. Mittlerweile sind wir in der komfortablen Lage, dass wir uns diesen Sidequests widmen können. Es geht um den Gedanken, dass wir Beziehungen so führen müssten, als ob sie uns nichts wert seien. Beachte das Als-ob! Ich will damit sagen, dass wir bereit sein sollten, die Beziehung zu riskieren – unbequem zu sein, Unbequemes zu sagen oder zu tun – um sie überhaupt zu einer wirklichen Beziehung zu machen. „Als ob sie uns nichts wert sei“ meint, die Beziehung der Beziehung wegen Risiken auszusetzen, auch solchen, die sie möglicherweise nicht überlebt.

Ich kann anhand des Ortes, den ich erinnere, den Zeitpunkt rekonstruieren, zu dem ich diesen Gedanken das erste Mal einem Bekannten gegenüber geäußert habe. Ich war unter 18. In all meinen Beziehungen, die ich seitdem hatte, konnte ich diesem Gedanken nicht folgen, immer war ich zu zaghaft, niemals mutig genug. Es ist, als könnte ich nicht mutig genug sein für diese Alles-oder-nichts-Risiken.

Soweit der alte Gedanke, der im Zeichenprozess neue Bestätigung gefunden hat. Jetzt, da er wieder aufgetaucht ist, setze ich ihn mal ganz nach oben auf die Mal-drüber-reden-Liste.

<O>

Ach ja, gestern habe ich geschrieben, weniger Gezeichnetes zu verbloggen. Deswegen ist das Bild von gestern, das heute Schatten, eine Spur mehr Tiefe und einen detaillierteren Hintergrund bekommen hat, auch  im Beitrag von gestern zu finden.

TRIO DIO MIO

eingestellt am 14.7.2023

1. Allgemeine Beschreibung

Erstmals aufgeführt 1986 auf dem Geburtstag einer Freundin. Helen war damals mit Manuel schwanger, deswegen „Trio“. Letzer Auftritt bei Manuels Geburtstagsfest 1994, diesmal mit Manuel als aktivem Mitglied des Trios.

TRIO DIO MIO arbeitet mit Clownerie und Äquilibristik, der Kunst, im Gleichgewicht zu bleiben. Den Kern der Nummer bildet ein Konflikt zwischen den zunächst ganz an traditionelle Sehgewohnheiten angepaßten Darstellern (Mann dominant und aktiv, Frau als Zubringerin der Requisiten), dem Akteur und der Gehilfin.

Der Konflikt der beiden spitzt sich im Verlauf der Nummer zu und führt dazu, daß die Gehilfin, anfangs nur „unzulänglich“ nun beginnt, die Vorführungen des Akteurs zu sabotieren.

Die anfänglichen Rollenzuweisungen lösen sich auf oder können nicht mehr durchgehalten werden. Die „Lächerlichkeit“ des Akteurs ergibt sich daraus, daß er an seiner Rolle festhält, er versucht den Konflikt zu „überspielen“, geht ihm etwas schief ist es „Absicht“ oder die Schuld der Gehilfin.

Die „lustige“ Gehilfin wiederum ist die Sache sehr schnell leid und wendet ihre Aufmerksamkeit vom Akteur ab und dem Publikum zu. Zusammen mit dem Publikum hat sie ihren Spaß an den Zwangslagen des Akteurs, die zum Teil durch sie aktiv hervorgerufen wurden.

Sie geht zunehmend ihre eigenen Wege, wenn sie nicht gebraucht wird (manchmal auch dann, wenn sie gebraucht wird) oder versucht sich selbst in der Handhabung der Requisiten.

Soweit die Kern-Situation; um zu ihr zu kommen gibt es verschiedene Intros und auch um sie gegen Ende der Nummer aufzulösen haben wir, abhängig von innerer und äußerer Situation, verschiedene Möglichkeiten gefunden.

2. Ein Spiel mit Bildern und Worten

„Clownwerie und Äuilibristik“; Helen ist der Clown (eigentlich sogar der Meta-Clown, da sie in einer Clownsnummer, in der ohnehin alle Clowns sind, als Clown ausgewiesen wird), ich bin der Künstler, der trotz aller Sabotage von Seiten dieses Clowns versucht, sein Gleichgewicht zu halten (und seinen Spaß in Klammern wie der vorhergehenden findet). Manchmal empfinde ich es wirklich so: Helen bedroht mein inneres Gleichgewicht. Ich muß dann irgendetwas tun, um es zu halten bzw. wiederzufinden

Im Moment ist dieses „irgendetwas“ der Bauwagen. Die Metapher des bedrohten Gleichgewichts findet sich übrigens nocheinmal auf einer etwas anderen Ebene: Während ich versuche mein Gewicht zu halten erliege ich ständig den Versuchungen eines gutsortierten und bekochten Haushalts, so daß ich, um nicht zuzunehmen, mich am Bauwagen extrem knapp halten muß – und kann!

Aus der allgemeinen Beschreibung wissen wir, daß der Akteur dazu neigt, die Schuld am eigenen Scheitern der Gehilfin zuzuschreiben. So auch hier, wenn ich zuhause mein Gewicht nicht halten kann ist Helen Schuld (übrigens werde ich gerade zu einem Stück Zwetschenkuchen gerufen!). Wir wissen aber auch: Manchmal sabotiert sie wirklich.

Was ist mit den ach so brüchigen Rollenzuweisungen? Wir spielen damit, daß sie nicht zu halten sind bzw. nicht gehalten werden.

Das ist ein Teil, den ich in die Nummer eingebracht habe. Aber nicht deshalb, weil mir meine dominante Rolle streitig gemacht wird, sondern mehr deshalb, weil ich glaube, sie ohnehin nicht ausfüllen zu können. Ich trage schwer an jeder Verantwortung (z.B. auch für die Kinder) weil ich eine Neigung zum Perfektionismus habe, mir eigentlich nie gut genug bin. Diesem Perfektionismus kann ich in der Spielsituation entgehen, weil es zum Aufbau der Nummer notwendig ist, daß etwas schiefgeht. Der Einfall mit den engen Ringen hat seinen Ursprung in der fixen Idee, zu dick zu sein. Der Akteurs-Charakter ist entlang meiner eingebildeten oder wirklichen Schwächen entwickelt.

Dort, wo die Nummer wirklich spannend ist, kommen einige meiner Stärken (oder was ich dafür halte) hervor, nämlich Improvisationstalent und die Gabe, mir in letzter Konsequenz doch selbst helfen zu können. Zwar sind dazu einige Verrenkungen nötig, die Sache ist alles andere als sicher und dauert unverhältnismäßig lange, aber es geht auch alleine. Jeder, der mir dabei hätte zusehen können, wie ich den ca. 35 Kilogramm schweren Fernseher ohne Leiter und alleine an Ketten an die Decke gehängt habe, wüßte sofort , was ich meine. Entwickelt hat sich mein Improvisationstalent aus einer Schwäche: Ich frage nicht gerne um Hilfe.

Warum nicht? Die Nummer zeigt ja sehr genau, was passiert, wenn man auf andere angewiesen ist! Die anderen tun die Dinge nicht so, wie sie getan werden sollten, reagieren empfindlich auf Kritik, gehen eigene Wege oder konkurrieren und letztendlich muß man sich doch wieder alleine helfen.

Nun zu Helen und ihrem Clowns-Charakter. Sowenig wie wir im Spiel zusammenarbeiten können, können wir es in der Vorbereitung des Spiels, d.h. der Realität. Diese Clownin hat einfach zu viele Ideen und ist zu ungerichtet in der Entfaltung ihrer Ideen; eben immer für eine Überrassschung gut. Sie bringt es auch dann fertig, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wenn sie „nicht dran“ ist. Sorgfältige Vorbereitung, Struktur und Absprache liegt ihr nicht.

Doch Achtung, sie ist nicht die Chaotin, als die sie nach meiner Beschreibung erscheinen könnte. Das beschriebene gilt nur in Beziehung zu mir!

Wie das mit den eigenen Wegen und der Aufmerksamkeit ist, die statt dem Akteur plötzlich dem Publikum gilt, darüber bin ich unsicher. Bekomme ich nicht genug Aufmerksamkeit? Nein, eigentlich ist es genug. Helens eigene Wege? Höchstens der zur Heilpraktikerin.

Und überhaupt: Zwei Seiten sind genug. Ich spare mir die Darstellung der verschiedenen Intros und Lösungen und verabschiede mich mit freundlichen Grüßen.