Die frühen Jahre

An dieser Stelle möchte ich meine persönliche Wohngeschichte mit ein paar Bildern illustrieren. Diese Geschichte beginnt in einem Frankfurter Wohnort in einer Wohnanlage, den „Blöcken“. Die Gegend zählte nicht eindeutig zu den guten oder den schlechten, hier lebten Arbeiter und kleine Angestellte. Der Lebensmittelladen und der Metzger waren „über die Straße“, und die war so wenig befahren, dass ich auch als fünfjähriger mal alleine zum Metzger geschickt wurde.

Diw Blöcke
Das Bild hat gleich zu zwei Wohnungen bezug, in denen ich gewohnt habe. Zunächst zeigt es ein Fenster der Wohnung, in der ich aufgewachsen bin (am linken Bildrand, Paterre). In dieser Wohnung hatte ich ab dem elften Lebensjahr behelfsmässig die Mansarde der für vier Personen viel zu kleinen Zweizimmerwohnung bewohnt. Diese Mansarde war fünf (!) Quadratmeter groß, was vor und neben dem Bett gerade 50 cm zum Laufen lies. Trotz der Enge war ich nicht unzufrieden mit der Lösung, erlaubte sie mir doch, mich wann immer ich das wollte zurück zu ziehen.

Jugendzimmer

Als ich fünfzehn war zogen meine Eltern in eine größere Wohnung im gleichen Block, aus deren Fenster das obige Foto aufgenommen wurde. Hier hatte ich mein erstes eigenes Zimmer, das den Namen auch verdiente. Auf dem Bild ist am oberen Rand eine handgefertigte Hausapotheke zu sehen, die einer meiner Vorfahren gebaut hat und die ihr auf späteren Bildern nochmals finden werdet. Sie begleitet mich bis heute.

Die Motorradzeit

Bearbeitetes Transkript einer mündlichen Schilderung, aufgenommen im Jahr 2022, also rund 50 Jahre später. Ich habe versucht, so nahe wie möglich am gesprochenen Wort zu bleiben. Mehr dazu hier.

„Als ich mit 16 mein erstes Motorrädchen bekommen habe, habe ich über einen Bekannten von meinem Vater eine uralte Lederjacke gekriegt. Das heisst, die war zu dem Zeitpunkt schon 40 Jahre alt, die habe ich immer noch im Schrank hängen. Und das war die, die ich dann trug. Also ich erinnere mich nicht, zumindest durch meine Motorradzeit hindurch nicht, wann ich irgendwann etwas anderes getragen hätte. Und auch lange, lange danach noch.

Das ist auch so ein riesiges Renovierungsprojekt. Regelmässig denke ich, ich muss endlich mal jemand finden, der mir da wieder ein Futter einnähen kann. Die passt noch, nur hat sie um den Bauch herum einen Schnitt, den ich so nicht mehr haben würde. Weil sie da irgendwie zu sehr absteht, keine Ahnung, weil da der Nierengurt noch drunter musste oder was auch immer.

Aber wegen der Lederjacke brauchte ich keine Jeansjacke. Und wenn, dann hätte man eventuell ja eher so eine mit abgeschnittenen Ärmeln gehabt – über der Lederjacke. Das war aber auch zu sehr die Rockerecke. An die ich mich nie weit genug angenähert habe. Weil das vergleichsweise …

Also diese Motorrädchen und die Frankfurter Stadtteile, die sich dann kollektiv mit ihren Motorrädchen in den jeweiligen Jugendzentren gegenseitig besucht haben, man kann auch sagen überfielen. „Hey, wir fahren nach Sachsenhausen und gehen da mal ins Jugendzentrum und dann gucken wir mal“, oder umgekehrt. Das habe ich nur wenige Male mitgemacht, weil meine Szene da nicht nah genug dran war. Außerdem wohnte ich in Höchst und die waren nicht wirklich bedeutend in dieser Szene. Und es war einfach blöd, irgendwo hinzufahren und sich mit anderen zu prügeln oder wenigstens rumzupöbeln.

Das, was wir hatten, das waren so ein paar lose assoziierte Motorradfahrer. Eigentlich Kleinkrafträder, also 50-Kubik-Maschinchen, das will man nicht wirklich als Motorrad bezeichnen. Wir waren zwischen 16 und 18 zu dem Zeitpunkt. Die Leute, die älter waren und schon große Motorräder fuhren, das waren dann 350er oder 500er, fanden wir schwierig. Vor allem wegen den Mädels, weil die Mädels fanden das toll. Das heisst, man hat nicht wirklich so den Kontakt gesucht. Ab und zu kam halt mal einer vorbei und dann musste man sich damit auseinandersetzen.

In Höchst gab es ein Jugendzentrum, aber das war nicht der Ort, an dem wir uns herumtrieben. Wir hatten den Marktplatz. Die Mutter von einem der Mädels hatte den Kiosk da am Marktplatz und aus dem Grund hatte er sich dann irgendwann zum informellen Treffpunkt entwickelt. Handys gab’s noch nicht, das heisst man wusste nicht, wo die anderen waren. Man fuhr halt irgendwo hin, wenn man Zeit hatte, und das war bei uns der Marktplatz. Dort gabe am Kiosk Getränke und Infos, wir waren die Marktplatz-Clique.

Das war auch nicht lang, höchstens zwei Sommer, an denen wir uns da getroffen haben und von dort dann, keine Ahnung, zum Baggersee gefahren sind oder sonst irgendwas getrieben haben. Irgendwann hatten wir auch Kontakt bekommen zu Landjugendleuten, die auf dem Ort wohnten und in einem alten Stall einen Partyraum hatten. Oft, dass man dann dahin gefahren ist, aber man hat sich am Marktplatz getroffen und entschieden, was man macht. Und dann ging das dahin.

War eine geile Zeit. War auch die einzige Zeit, wo ich mich irgendwie zu einer Freundesgruppe zugehörig gefühlt habe. Das war mit Abschluss der Motorradzeit, also mit 18, schon wieder rum. Weil dann etwas anderes anfing. Dann fingen nämlich die ersten festen Beziehungen an.“

Tante Leni stirbt

Tante Leni ist streng genommen meine Großtante, die Schwester meiner Oma Johanna, die ich aus anderen Gründen ebenso mochte. Sie stirbt einen Tag vor meinem 14. Geburtstag, der dann wenig überraschend kaum gefeiert wurde. Nicht schlimm, ich glaube schon damals hatte ich es nicht so mit Geburtstagen. Interessant für mich ist daran nur, dass es wirklich der 14. Geburtstag war. Geschätzt hätte ich den zwölften, vielleicht den elften oder dreizehnten, aber niemals den vierzehnten. Gefühlt war ich so viel jünger.

Tante Leni wohnte direkt im Nachbarhaus, bessergesagt im direkt benachbarten Hauseingang, denn meine Familie und sie wohnten in demselben Wohnblock. Um die Zeit ihres Todes herum bin ich ziemlich regelmässig zu ihr „rübergegangen“, mal aus Langeweile, mal um sie auf den Wochenmarkt zu begleiten. Ob ich dabei wirklich eine große Hilfe beim Tragen war, weiß ich nicht mehr. Gut erinnern kann ich mich aber daran, dass wir auf dem Weg zum Wochenmarkt regelmässig zu irgendwelchen Schwätzchen stehenblieben, denn Tante Leni war mit vielen Menschen bekannt und bei einigen auch gern gesehen. Sie war – und damals hat mich das nur wenig interessiert – zu Zeiten ihrer Berufstätigkeit irgendwas in der Verwaltung eben jener Wohnungsbaugesellschaft, in deren Häusern wir nun wohnten. Sie hatte also über ihren Job Kontakt zu vielen Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung gehabt und so konnte sich ein Marktgang schon einmal hinziehen. Der Weg zum Höchster Wochenmarkt dauerte auch ohne Unterbrechung cirka zwanzig Minuten, mit Unterbrechungen dann eine dreiviertel Stunde, zurück ähnlich. Um nicht mißverstanden zu werden, ich beschwere mich nicht darüber, schließlich ging ich gerne und freiwillig mit. Und vermutlich war das auch längst nicht so regelmässig, wie ich es erinnere, sondern eher eine Sache, die nur in den Ferien vorkam.

Irgendjemand muss mir erzählt haben, sie sei eine recht lebenslustige Frau gewesen, denn das ist es, was mir einfällt, wenn ich sie beschreiben sollte. Aber, und ich finde, das ist ein großes Aber, mir fällt keine Begebenheit ein, in der ich als Kind einen solchen Eindruck hätte gewinnen können. Oder was ich zu einem solch frühen Zeitpunkt mit „lebenslustig“ hätte verbinden können, selbst wenn man davon absieht, dass „lebenslustig“ in der damaligen moralinsauren Zeit auch ein paar schwierige Konotationen hatte.

[Erinnerungen an ihre Wohnung in der Palleskestraße, manuelle Klingel an der Tür, Toilette im Treppenhaus, Pisspott, Rollläden und wandernde Scheinwerfer auf den Wänden]

Noch unsortiert:
Geboren am 15.4.1898, sie ist eine geborene Scholly, nannte sich aber teilweise Eckert oder Scholly-Eckert, Scholly ist der erste Mann ihrer Mutter Katharina, Eckert der Name des zweiten und dritten Ehemans (Brüder), das klingt nach einer interessanten Geschichte, die ich leider nie erzählt bekam. Der dritte Ehemann Eckert hat die Hausapotheke gemacht. Weitere Ebstücke: der handgeschniedete Dosenöffner, der Ausgehdegen (von einem der Eckert-Brüder) und die Vitrine (mit einem jahrzehntelangen Umweg über den elterlichen Garten)

Nachgetreten

(veröffentlicht am 24.1.2010, später hier einsortiert)

In einem der vielen Best-of-Twitter-2009-Beiträge von Anfang des Jahres habe ich folgenden Tweet gefunden:

@luzilla: wenn ich mich mal so richtig schlecht, unfähig, ausgeschlossen und gedemütigt fühle, nenn ich das ‘meine inneren bundesjugendspiele’.

Mich hat das an eine Bundesjugendspiel-Story aus meiner Schulzeit erinnert.  Sie lässt sich in einem Satz erzählen:

In meinem neunten Schuljahr hat mein damaliger Klassenlehrer die pädagogische Großtat vollbracht, mir vor der ganzen Klasse – und sehr zu deren Vergnügen – die Minuspunkte auszurechnen, die ich mir bei den Bundesjugendspielen verdient hätte, wenn die Punktestaffelung unterhalb der Mindestleistung analog zu der oberhalb wäre.

3 Anmerkungen

  1. Das war sehr, sehr lustig. Für die anderen.
  2. Der Klassenlehrer hieß Mädler.
  3. Ich wünschte, Herr Mädler wäre nicht tot, hätte ein E-Mail-Konto und ich könnte ihm den Link zu diesem Beitrag senden.