Back to the roots

Meinen drei Stammlesern wird langweilig und ich kann das verstehen. Zuviel Netz- oder sonstige Politik, zuwenig Persönliches. Das könnte sich jetzt durch den Einsatz modernster Software ändern; der Bekannte aus dem vorherigen Artikel hat mich mal mit seiner Spracherkennungssoftware spielen lassen und das Ergebnis ist beeindruckend. Mein Interesse: ich hätte gerne meine Tagebücher digitalisiert. Oder auch meine Diplomarbeit, die noch auf einer mechanischen Reisschreibmaschine geschrieben wurde. Und da macht Einlesen deutlich mehr Spaß als Abschreiben.

Tagebuch

All diejenigen, die schon immer mal gerne gewußt hätten, was eigentlich in diesen A6-Kladden steht, in die ich regelmäßig irgendetwas eintrage, können sich hier einen ersten, keineswegs repräsentativen Eindruck verschaffen. Die Auswahl ist fast zufällig, genau dieses eine Buch hatte ich dabei und genau dieser Abschnitt überschaubarer Länge  gab einen irgendwie gearteten Zusammenhang. Vier Tage im Juni 2006, ein Malkurs in Köln, teilweise tabellarisch ereignislos, erst gegen Ende introspektiv. Aber wer bis hierher gelesen hat will sich auch das antun.

Stupa-Einweihung in Becske

 eingefügt am 26.10.2012

Wenn ich auf Reisen bin führe ich meistens Tagebuch. Das Folgende sind die Eintragungen von der Stupa-Einweihung in Becske, Ungarn. Ihr findet sie hier als Ergebnis meiner Experimente mit Spracherkennungssoftware. Dass ihr nicht mehr solcher eingelesenen Aufzeichnungen im Blog findet, liegt daran, dass das Einlesen immer noch einiges an Nacharbeit verlangt und nicht so komfortabel ist, wie ich mir das erhoffte. Es kommen ein paar technische Schwierigkeiten hinzu, die ich jetzt nicht aufzählen mag. Ergebnis des Experiments: „Eigentlich“ funktioniert Spracherkennungssoftware schon erstaunlich gut, unter meinen speziellen Umständen aber verlangt ihr Einsatz immer noch zu viel Aktivität, Zielstrebigkeit und Frustrationstoleranz. Hier nun die Tagebuchaufzeichnungen.

 

31.8.2008, Montag

Letzte Vorbereitungen für die Reise, Postbankkonto checken, Geld abheben, Rucksack packen, etc.. Abends kommt Dieter um das Gepäck abzuholen und bringt schlechte Nachrichten mit, eine Unvorsichtigkeit beim Aussteigen hätte ihn fast die Fahrertür gekostet, zum Glück schließt sie noch, einzig beim Scharnier steht das Blech ca. 7 cm nach außen. Zum Glück – abermals – gelingt unser Versuch, dies zurückzuschlagen. Kurz vor 22 Uhr bin ich wieder zu Hause und das Auto ist für die Fahrt gepackt.

1.9.2008, Montag

wir treffen uns morgens um 10:00 Uhr im Zentrum, um 11:00 Uhr sitzen wir im Auto und die gemeinsame Reise beginnt. Das Auto ist voll gepackt bis auf den zweiten Rücksitz. Allerdings nicht voll genug, um nicht noch zwei Boxen zuzuladen, die Didi ersteigert hat und in Nürnberg abholen wird. Die Teile sind nicht riesig, aber auch nicht klein und es erfordert nochmals 15 Minuten Ladezeit bis wir alles zuerst raus- und dann wieder reingeräumt haben. Abfahrt Nürnberg 16:00 Uhr.

Die Fahrt nach Budweis verläuft nicht ganz entlang der Strecke, die uns der Routenplaner vorgeschlagen hat. Zu spät bemerken wir, dass die Route etwas ungünstig über Landstraßen führt. Dort verpassen wir dann einen Abzweig und müssen improvisieren, was uns auch ganz gut gelingt. Nur lässt sich nicht mehr vom kürzestem Weg reden. Kurze, aber heftige Konfusion in Budweis selbst. Didi kennt den Weg zum etwas außerhalb gelegenen Zentrum nur vom Sehen und im hellen und einer etwas ungenauen Ortsbeschreibung. Trotzdem finden wir den Ort und auch das Zentrum, allerdings hätten wir keine Chance gehabt ohne Didis Ortskenntnis. Denn das Zentrum ist ja ganz weit draußen versteckt und man muss schon direkt davor stehen, um an den tibetischen Gebetsfahnen zu erkennen, dass dieses ehemalige landwirtschaftliche Gebäude nun von Buddhisten bewohnt wird.

Der Ort selbst befindet sich noch in der Renovierung, ist aber schon in Benutzung und auch benutzbar. Als wir ankommen brennt im Hof ein kleines Lagerfeuer, die Menschen sitzen aber in einem daneben liegenden Gemeinschaftsraum und schauen einen Film, der mit einem Beamer an die Wand geworfen wird. Begrüßung und Begrüßungstrunk und eine kurze Führung. Wir erfahren, dass gerade Norbu Rinpoche hier ist und einen Malkurs abhält. Morgen werden wir ihn kennen lernen. Deswegen, und auch weil wir so spät angekommen sind, beschließen wir, hier einen Tag Aufenthalt einzulegen und erst übermorgen, dann aber früh, aufzubrechen.

2.9.2008, Dienstag

Budweis hat zwei Zentren, eines in der Innenstadt und eines etwas außerhalb in Vyhlidky gelegen. Wir sind in dem außerhalb, einem ehemaligen Bauernhof. Es ist ein u-förmiges Gebäude, dessen offene Seite ursprünglich mit einer hohen Mauer verschlossen war, nun aber auf eine Höhe heruntergebrochen ist, die es zulässt, über sie hinüberzusehen. Das U hat auf Höhe des ersten Stocks eine Galerie auf voller Länge, so dass die dort gelegenen Räume von außen zu erreichen sind. Das Dach wurde etwas höher gesetzt und vorgezogen, so dass Regen kein Problem bildet (hier Skizze der Lösung). Eine clevere und kostensparende Lösung.

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Heute Morgen während des Frühstücks saß ich Norbu gegenüber und wir kamen ins Gespräch. Er steht dem, wie wir Tsatsas produzieren, kritisch gegenüber. Wir sollten weniger und bessere Tsatsas produzieren und dafür sorgen, dass sie nur in Hände kommen, die damit umzugehen wissen. Er drückt das anders aus, spricht davon, dass die Tsatsas so seien wie Söhne und Töchter und die gleiche Sorgfalt und Fürsorge verdienen.

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Unter Menschen fühle ich mich unsicher, würde sie meiden, wenn das denn ginge. Es geht natürlich nicht und ein Grund für diese Reise ist ja auch, den selbstgeschaffenen Rückzug zu durchbrechen. Die Unannehmlichkeiten, die ich empfinde, sind gewünscht. Heute Morgen das aufstehen ungewohnt früh, geweckt erst durch einen fremden Wecker, dann am Wiedereinschlafen gehindert durch die Aufsteh- und schließlich Verbeugungsgeräusche von anderen. So ist das, wenn man in der Gompa schläft.

Weil ich nicht genau wusste, wie das mit dem Frühstück organisiert war, habe ich mich erst einmal in die Meditation geflüchtet, eine gute Entscheidung. Irgendwann leerte sich die Gompa und kurz darauf waren Frühstücksgeräusche zu hören. Der Kurs von Norbu frühstückt zusammen und wird versorgt. Wir als unangemeldete Gäste können uns anschließend.

Nach dem Frühstück etwas Sightseeing auf dem Gelände und anschließend nochmal in die Gompa um den Rest der Diamantgeist-Meditation zu machen. Auch dies mehr eine Verlegenheitslösung. Ich zögere, mich Norbus Zeichenklasse anzuschließen. Mehr aus Schüchternheit denn aus anderen Gründen. Depressives Zeug halt, dass ich in den nächsten Wochen sicher noch genauer untersuchen und beschreiben kann.

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Wie immer, im Endeffekt wird man unkompliziert aufgenommen. Ich bekam Bleistift, Pinsel und Papier geliehen und dann ging es los mit Buddha-Augen-malen. Braucht einiges an Konzentration, zuerst mit Bleistift die Umrisse, dann mit Aquarell- oder Acrylfarben nachmalen. Beachte: der untere Lidstrich ist etwas heller. Zum Schluss die Empfehlung, die drei Augenformen (Buddhas, Taras, Mahakalas) zu üben und in die Kurse reinzuschauen, wenn es möglich ist.

Erste Übung: Das Malen von Buddhaaugen

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Trotzdem, ich fühle mich isoliert, was nur zum Teil daran liegt, dass hier jede Menge Tschechen sind, die sich mehr miteinander beschäftigen als mit mir. Mein Anteil ist fortgesetzte Schweigsamkeit, ich rede halt nur auf Ansprache hin. Das zu ändern wäre eine echte Aufgabe.

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Ein kleiner Ärger am Rande: die Akkus arbeiten nicht mit der Kamera zusammen, das heißt ich brauche entweder die teuren Fotobatterien oder ich muss in Akkus investieren.

3.9.2008, Mittwoch

Abfahrt in der Frühe, was zu unseren Bedingungen 10:00 Uhr bedeutet. Erste Spannungen zwischen Didi und Katrin. Für Katrin bedeutet „nach dem Frühstück“ genau das, am besten ist dann auch schon alles im Auto. Für Didi heißt es „und dem Kaffee nach dem Frühstück und dem zu erwartenden Morgenschiß“. Wo sich das Gepäck zu diesem Zeitpunkt befindet bleibt offen.

Eine erste Aussprache macht die verschiedenen Deutungen offen und nächstes Mal wird alles besser, weil jeder sich darauf einstellen kann.

Beim Bezahlen eine kleine Irritation. Weil Norbu da ist kostet die Übernachtung acht Euro mehr, was ziemlich viel ist (in der schwächstmöglichen Formulierung). Die Fahrt selbst verläuft weitgehend problemlos. Wir fahren über Österreich und die Autobahnen, was zusätzlich die Gebühren für die Vignetten bedeutet. Das macht uns schneller, aber auch unzufriedener.

Irgendwann zwischen Nachmittag und frühen Abend kommen wir nach Budapest, Rushhour. Wir beschließen einen Zwischenstopp. Eine kleine „Kneipen-Imbissbude“ mit der Möglichkeit im Freien zu sitzen ist schnell gefunden und wir essen unsere erste „Gulaschsuppe „. Das bestellen ist unsere erste Aufgabe, die wir nur mit dem Vokabelteil des Sprachführers bewältigen können. Ich übe die Zahlen von 1-10 und versuche mir die Systematik für alles oberhalb von zehn einzuprägen.

Nach dem Essen ist immer noch dichter Verkehr und aus der Stadt heraus brauchen wir lange. Dann läuft es gut und wir kommen irgendwann in der Dunkelheit auf dem Gelände in Beczke an. Die Begrüßung verläuft gewohnt freundlich und sehr schnell treffen wir auf die einzige andere deutsche Muttersprachlerin. Erste Eindrücke, erste Einweisungen, Ankommen halt.

Stupa-Baustelle am Abend

Um einen Zeltplatz zu finden und vernünftig aufzubauen ist es definitiv zu dunkel und wir beschließen, diese Nacht nochmals in der Gompa zu verbringen.

4.9.2008, Donnerstag

aufstehen um 8:00 Uhr, was für hiesige Verhältnisse spät ist. Beim Frühstück sitzt Joshua aus Frankfurt bei uns, der ebenfalls bis zum Ende des Monats bleibt. Ein paar bekannte Gesichter scheint man immer zutreffen.

Sich auf einen Zeltplatz zu einigen und die anschließende Feinabstimmung zur Anordnung der Zelte ist eine Geduldsprobe für mich. Didi ist Didi als Umstandskrämer. Mir ist es zu viel hin und her, aber irgendwann haben sich alle Fragen geklärt, die Zelte stehen und sind eingeräumt. Gefühlte Zeitausdehnung: 150 %. Wie auch immer, jetzt haben wir einen sehr schönen Platz unter Bäumen, wovon es nicht sehr viele gibt. Es stehen drei Zelte, eines groß genug um N. aufzunehmen, die per SMS mitgeteilt hat, dass sie auch den ganzen Njöndro-Kurs besuchen kann und zur Einweihung der Stupa anreisen wird.

Unser Zeltplatz, im Hintergrund das Veranstaltungszelt

Nach dem Zeltaufbau fahren wir ins Dorf und auch in das nächste (Becske und Bercel), besuchen Supermärkte und kleinere Läden für alles, was wir brauchen und nicht auf dem Gelände bekommen. Leider finden wir weder Bank noch offene Post zum Geldwechseln oder abheben. Bedeutet drei weitere Tage ohne Landeswährung, was sich seltsam abhängig angefüllt. Forint haben wir nur deshalb, weil Katrin in Budapest an einem Automaten mit Ihrer Karte Geld abgehoben hat.

White Hat LamaNach dem Ausflug ins Dorf aus einer Laune heraus zur Stupa hochgefahren, die etwas außerhalb des Kursgeländes liegt. Dort war gerade Rinpotche Sherab Gyaltsen dabei, die nächsten Schritte mit dem Bauleiter und allerlei Interessierten abzusprechen. Ein Rinpotche mit Bauhelm, ein White-Hat. Die Baustelle ist irre interessant, vor allem wegen der Gies-und Schalarbeiten, bietet aber wenig Möglichkeiten für unqualifizierte Helfer. Direkt beim Bau der Stupa helfen zu können, werden wir uns wohl abschminken müssen.

Den letzten Teil des Nachmittags verbringen wir bei den Zelten, ich schreibe, Katrin macht Mandalagaben und Didi spannt nochmal Katrins Zelt ab. Abhängezeit.

Die Blase drückt und ich drücke mich, sie zu entleeren. Der Weg zum Klo ist ziemlich weit und bis jetzt gibt es noch keine Dixies, die werden erst zum Kurs geliefert. Die Weitläufigkeit des Geländes ist Gnade und Fluch zugleich, weite Wege, aber vermutlich wird es nicht eng. Und für uns ist es nicht weit zur Gompa, der großen.

5.9.2008, Freitag

gestern früh zu Bett und heute spät raus. Ein bescheidenes Frühstück, abgepackte Stückchen. Als Arbeits- und Beteiligungsmöglichkeit bietet sich nur die Statuen- und Stupafüllwerkstatt an, wo noch immer Mantrarollen herzustellen sind für die Gipsnachbildung der Stupa, die an alle Zentren und einige Stadthonoratioren verschenkt werden sollen. Die Gipsstupas zum Verschenken werden gefüllt, die zum Verkauf nicht. Mit der Hilfe dort geht der Tag auf unspektakulärer Weise herum. Gegen 18:00 Uhr beginnt dann die Füllung der Stupatreppe.

Die Treppe hat oben eine kreisrunde Öffnung auf die später der Bumpa aufgesetzt wird. Direkt unterhalb der Öffnung ist ein achteckiger Raum, der morgen mit dem Mandala aufgefüllt wird. Heute wird der Raum außerhalb des Achtecks mit Tsatsas aufgefüllt. Dabei werden etwa drei Viertel der Höhe mit großen bemalten Stupas ausgefüllt, zwischen die Stupas wird Sand gefüllt, gelegentlich werden trocken Blumen eingestreut. Ins letzte Viertel kommen Tsatsas von Aspekten. Milarepa, der Tausendarmige Chenrezig, Zepame und der Medizinbuddha. Liegend und stehend, wie es gerade passt, dicht an dicht. Das achteckige Innere ist zu Beginn der Füllung nur bis zur halben Höhe gemauert um das Füllen zu erleichtern. Irgendwann gibt es dann eine Pause und die Maurer mauern schnell den fehlenden Rest mit bereitliegenden Yton-Steinen hoch. Leicht vorzustellen, dass die Geschichte mehrere Stunden dauert.

Es kommt es zu einem späten Abend essen, dummerweise Suppe, denke ich schon beim Essen, zu viel Flüssigkeit, um die Nacht nicht noch mal raus zu müssen.

6.9.2008, Samstag

Habe es dann doch geschafft, mich bis 9:00 Uhr auf meiner vollen Blase herum zu wälzen. Mittlerweile ist es hier deutlich voller geworden und ich bin lange nicht der einzige Spätaufsteher. Zudem hat sich schon an den beiden letzten Tagen abgezeichnet, dass hier Hilfe nicht zwingend gebraucht und auch nicht nachgefragt wird.

Also trödeln wir uns gemeinsam durch das Frühstück und beschließen die Tage vor dem 11., dem Einsetzen des Lebensbaumes in die Stupa, für unseren Budapestbesuch zu nutzen. Ob wir schon morgen oder erst übermorgen aufbrechen wollen, wollen wir von Didis Gesundheitszustand abhängig machen, der unter der Hitze und einem Schnupfen leidet – dem es „nicht so gut“ geht. Auch Kathrin ist durch ihre Periode etwas gehandicapt.

Die Arbeit in der Stupafüllwerkstatt ist nicht wirklich ausfüllend. Zu viele Helfer und Stress bei den Verantwortlichen. Ich rolle Mantrarollen, die zumindest aktuell nicht gebraucht werden. Auch aus Frust gehe ich etwas früher und meditiere stattdessen.

Nach der Medi dann zum zweiten Teil der Stupatreppenfüllung, dem Mandala. Unter der Leitung von Sherab Gyaltsen baut sein Begleiter, ein junger Mönch (nebenbei: seine zweite Begleitperson ist eine junge Nonne, vielleicht ein Zugeständnis an die westliche Gleichberechtigung) das Mandala in den Hohlraum. Da zum Schluss der gesamte Boden belegt ist, ist das keine leichte Aufgabe. Als Baumaterial dienen die ganzen vorbereiteten Kostbarkeiten: Butterlampen, Muscheln, Tormas, Mandalaschalen, Blumensträuße, Dorjes und Glocken, der gesammelte Schmuck, Räucherwerk und etliches mehr. Nicht zuletzt Mantrarollen in der Größe von Toilettenpapierrollen.

Fotografieren kann ich leider nicht so viel, meine Kamera hat einen Fehler. Entweder braucht sie unangemessen viel Strom oder die Batterien werden zu früh als leer angezeigt, was-auch-immer, sie versagt den Dienst zu früh. Ersatzweise hatte ich Katrins Kamera dabei, der dann auch der Saft ausging. Schlechtes „Foto-Karma“! Immerhin konnte ich ganz zum Schluss mit den wieder erholten Batterien genau ein Foto vom fertigen Mandala machen.

Unmittelbar nach dem späten Abendessen treffe ich Katrin, deren Wespenstich sich in der Zwischenzeit zu einer riesigen Schwellung ausgewachsen hat. Sie war sogar beim Arzt damit. Ziemlich hoher Krankenstand in unserer kleinen Reisegruppe.

7.9.2008, Sonntag

In der Nacht starker Regen, einer meiner Schuhe ist durchweicht, dummerweise ist das gleiche auch mit meinen Schuhen passiert, die im anderen Zelt zu nah am Rand standen. Bleiben die Laufschuhe.

Mit denen laufe ich nach dem Mittagessen nach Bercel. Mittlerweile hat es wieder aufgeklärt, es scheint, als ob weiterer Regen nicht zu befürchten wäre. Der Vormittag war mit Frühstücken und einer Diamantgeistmeditation vorübergegangen. Um Arbeit haben wir uns gar nicht erst bemüht. Ziel in Bercel war die Post, die ich leider eine Viertelstunde zu spät erreicht. Die Beamtin habe ich zwar im Hof noch angetroffen, konnte ihr auch meine Karte zeigen, aber dann wurde die Kommunikation unklar. Kann sein, es gibt keinen Automaten, kann sein, es gibt ihn einfach nicht zu dieser Zeit.

Jetzt sitze ich in einer Gaststätte mit Außenbereich, habe ca. 7 km Rückweg von mir und nutze die Gelegenheit, mal für mich zu sein.

Bis jetzt war unsere Reise von allerlei kleinen Widrigkeiten begleitet. Am schwierigsten ist es für uns, nicht beschäftigt zu sein. Zumindest gilt das für mich, gestern das Mantrarollen rollen habe ich als Beschäftigungstherapie empfunden. Kurz: ich will wichtig sein.

Gestern früh haben wir während des Frühstücks über unseren Budapest Besuch nachgedacht, heute früh sieht vieles schon wieder anders aus. Didi ist kranker als gestern, zum Schnupfen kommt Halsweh und Hustenreiz. Zudem hat er sich bereit erklärt, das Lama-Essen zum Lama-Haus zu fahren, weil das erstaunlicherweise bei den Ungarn ein unbeliebter Job ist; sie fürchten um ihre Wagen und deren Bezüge.

Katrins Hand ist noch immer stark geschwollen und sie möchte heute noch nicht entscheiden, ob sie morgen früh für Budapest fit genug ist. Mir ist das alles viel zu viel hin und her und so will ich heute wenigstens herausbekommen, wie die Zugverbindungen nach Budapest sind. Dann kann ich immer noch entscheiden, ob ich allein los mache oder beim Rudel bleibe.

Mein Fußmarsch nach Bercel hat mich von diesem Ziel leider etwas abgebracht. Heißt: ich muss mir auf dem Rückweg in Becske den Bahnhof suchen, was auch nochmal Zeit und Energie brauchen wird.

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Nachfragen in Becske ergeben dann, dass der nächste Bahnhof im Nachbarort 3 km entfernt ist. Was nur halb so schlimm ist, da ich auf dem Weg an der Tsatsawerkstatt vorbei auf Andreas und seine Frau Zuzie stoße, die einsam Tsatsas reparieren. Hilfe wird benötigt. Dort verbringen ich dann den Abend. Die Tsatsas sind von sehr verschiedener Qualität und viele bedürfen der Ausbesserung.

 

 

8.9.2008, Montag

Ab morgens in der Tsatsawerkstatt. Während des Frühstücks haben wir – besser: habe ich – Nico, einen der „Famous Plumper Brothers“ kennen gelernt. Er hat in Hamburg die Tsatsas Produktion bekleidet und möchte uns den Umgang mit dem Material und den Aufbau einer Produktionsstraße zeigen.

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Ich werde unruhig, habe das Gefühl, keine Zeit, keine Ruhe zum Schreiben zu haben, höre von daher auf. Irgendwann komme ich hoffentlich dazu, die genannten Personen noch etwas genauer zu beschreiben.

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Um es abzukürzen: habe den ganzen Tag bis abends um 23:00 in der Werkstatt verbracht und werde morgen auch wieder hingehen.

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Das Wichtigste zum Material: der Gips muss eingestreut werden und dann 5 Minuten schlemmen. Anschließend ohne Blasensbildung mischen, entweder mit der Hand oder dem Teigschaber.

 

9.9.2008, 10.9.2008, 11.9.2008, Donnerstag

Bin in den letzten drei Tagen zum Ober-Giesser aufgestiegen. War halt die ganzen Tage in der Werkstatt und habe herausgefunden, wie ich ziemlich gute Abgüße herstelle. Möglich sind 8 bis 10 Stück am Tag, davon sind maximal zwei perfekt, der Rest muss noch nachbearbeitet werden.

Gestern bekam ich zum ersten Mal die Schlüssel für die Werkstatt und auch heute werde ich der Letzte sein. Noch ist die Werkstatt voller Menschen. Anlässlich das Einsetzens des Lebensbaumes sind viele gekommen und ab heute werden das vermutlich immer mehr. Jeden Tag steht irgendwo ein neues Zelt und alles ähnelt immer mehr den Kursgeländen wie wir sie kennen.

Meine Karriere habe ich der Tatsache zu verdanken, dass Andreas und Zuzie, die Verantwortlichen für die Tsatsas, eher überraschend zu ihrer Aufgabe gekommen sind und mit der blasenfreien Produktion ziemliche Schwierigkeiten hatten. Meine Anwesenheit nimmt Ihnen eine große Sorge. Davon abgesehen sind sie auch ohne die Tsatsas schon ziemlich aufgebraucht, da sie seit sechs Wochen die Baustelle hier bekleiden. Die Entlastung, die sie durch mich finden, sei ihnen gegönnt.

Unsere kleine Reisegruppe ist tagsüber auf die verschiedenen Arbeitsbereiche verteilt, meistens treffen wir uns zum Essen, oft auch mit Joshua aus Frankfurt. Auch bei den verschiedenen Zeremonien bei der Stupa stehen wir meist zusammen. Fühlt sich gut an, wir sind nicht aufeinander angewiesen und trotzdem gibt es Verbindung.

12.9.2008, Freitag

[einige schwer zu lesende Mitschriften aus einem Vortrag]

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Overblessed and undersugared

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13.9.2008, 14.9.2008, Sonntag

[Die fehlenden Einträge der letzten Tage weisen darauf hin, dass in diesen Tagen wohl einiges los war. Mein Schwerpunkt lag ohne Zweifel bei der Produktion der Tsatsas, die bis zum letzten Tag vor der Einweihungszeremonie produziert wurden und dann (zum Teil in Nachtarbeit) bemalt wurden.

„Gestört“ wurden wir in unserem Tun immer wieder durch die verschieden Aktivitäten und Zeremonien rund um die Fertigstellung der Stupa. Nachdem das Mandala in der Stupatreppe fertig war, wurde der Raum verschlossen und die Bumpa aufgesetzt (das runde Ding, in dem der Buddha sitzt). Das Einsetzen des Lebensbaumes war eine große Sache und das Aufsetzen der Spitze von großem Schauwert. Ein paar Bilder dazu und dann zurück zu den Original-Tagebucheinträgen.]

 

Der Tag der Einweihung. Unmengen von Menschen überfluten den Platz. Kursatmosphäre, überall Schlangen und zu wenig gute Sichtplätze. Was neu ist, es gibt einen Screen, auf dem die Veranstaltung übertragen wird. Das Teil steht am Fuß des Flügels und zeigt gerade, dass immer noch geschmückt wird. Zwei große Boxen übertragen den Ton, gegenwärtig dass 100-silbige Mantra.

Die Lösung mit dem Screen gefällt mir, sie lässt mir mehr Möglichkeiten, als ich sie in der Menge stehend hätte, zum Beispiel in dieses Buch zu schreiben.

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Die Nacht war wirklich kühl, sobald die Sonne weg ist fällt die Temperatur stark und es ist eine Aufgabe, nicht auszukühlen. Das gilt auch in der Gompa, die ohne Decke um die Nieren kaum zu be“sitzen“ ist.

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Am Screen gerade die ersten „off-stage“-Aufnahmen, Sherab Gyaltsen richtet einen Altar her. Im Hintergrund das eine oder andere bekannte Gesicht. Menschen, mit denen ich in den letzten Tagen zusammengearbeitet habe; normale, lockere, zugewandte Menschen, die da plötzlich an prominenter Stelle auftauchen. So etwas finde ich immer wieder bemerkenswert, als ob so ein Teil ihrer Prominenz auf mich abfärben würde. In solchen Gedanken hat wohl jedes „name dropping“ seinen Ursprung.

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Jetzt werden die Videojungs professionell, mehrere Kameras zeigen abwechselnd Bilder von verschiedenen Standpunkten aus. Die Stupa ist nur an drei Seiten mit riesigen quadratischen Tüchern verdeckt, die an den vier Fahnenmasten an den Stupaecken hängen. Der Altar ist fertig hergerichtet. Sherab Gyaltsen und die beiden Helfer legen ihre gelben Überhänge an.

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Die Einweihung hat begonnen. Eingeleitet durch einige Impressionen aus der Bauzeit am Screen, laufen nun die Rezitationen. Die verschiedenen Helfer räumen noch immer Kisten von hier nach da. Beschäftigtsein bis zum Schluss. Gerade hat auch Ole seinen Platz links neben Sherab Gyaltsen bezogen. Am Screen nur noch undeutlich zu erkennen ist die Farbe seines T-Shirts, es wirkt rötlich, so als hätte er sich farblich etwas an die Roben der Mönche angepasst.

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Segnung der Reistütchen mit seinem Gau.

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Reinigung mit dem Spiegel, usw., usf. …

 

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Gegen Ende der Veranstaltung und nach der eigentlichen Einweihungszeremonie wurden dann die Stupas an Sherab Gyaltsen, Ole, Katie und Gerke vergeben. Anschließend die Verteilung an die Zentren. Hat sich auf dem Bildschirm sehr schön gemacht.

Wenn Sie für „die Großen“ die besten Stupas herausgesucht haben, sind sie vermutlich von mir. Falls willkürlich verteilt wurde ist die Chance immer noch 50 zu 50. Ich weiß nicht, ob ich stolz darauf bin, aber irgendwie bläst es schon das Ego auf; die Menschen sollten wissen, dass ich wahrscheinlich eine Stupa für Ole gemacht habe.

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Unmittelbar nach der Zeremonie der Run auf das Essenszelt. Viel zu viele Leute, was wollten die alle auf meinem Platz? Zum Glück beginnt nach dem Essen auch eine große Abreisewelle. Möge es allen unheimlich gut gehen, dort wo sie hingehen (wenn sie nur dort hingehen).

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Gegen 16:00 Uhr wird die Zeremonie für die Offiziellen und die Presse sein, meint: es ist noch nicht vorbei. Ich bin ziemlich müde, seit Tagen schon. Gestern auch nur den halben Ole-Vortrag gehört und danach ins Bett gegangen. Nicht direkt, eigentlich hatte ich den Vortrag verlassen, um noch einmal in die Tsatsawerkstatt zu gehen und dort beim Ausbessern zu helfen. Als ich dort dann niemanden mehr angetroffen habe, bin ich auf dem Rückweg nicht an meinem Zelt vorbeigekommen (bzw. bin ich dort vorbeigekommen, nur nicht weiter, also genau bis dorthin).

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Habe Zuzie und Andreas getroffen und nebenbei erfahren, dass die Stupa, die ich für mich gegossen habe, irgendwie mit in die Produktion gerutscht ist und ich mir eine neue gießen muss. Anschließend haben wir uns verabredet und dann doch verpasst. Jetzt bin ich etwas angespannt, morgen werde ich mir den Schlüssel aus der Küche holen müssen und noch einmal gießen, klingt einfach und ist es auch, wenn der Schlüssel an der Stelle ist, wo er sein sollte. Worauf man sich nicht verlassen kann.

Mit der ganzen Geschichte ist eine kleine, eitle Enttäuschung verbunden. Als ich bemerkte, dass „meine“ Stupa nicht mehr am Platz stand, habe ich vermutet, dass Zuzie und Andreas sie  genommen hätten, um sie zu reparieren und vielleicht sogar füllen zu lassen. Überhöhte Erwartungen, die ich Ihnen aber zugetraut hätte, weil sie mich in den Tagen zuvor so gelobt hatten.

Wie auch immer, morgen ist ein freier Tag und ich werde versuchen, meine Stupa zu gießen.

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[Vortragsmitschrift]

15.9.2008, Montag, der freie Tag,

es ist 17:20 Uhr und bis jetzt hat es den ganzen Tag geregnet, die erste Hälfte des Tages dachte ich noch, ich könnte den Regen wegschlafen. Bin bis 13:00 Uhr liegen geblieben, irgendwo zwischen Ausschlafen und leichter Depression. Letztlich hat mich der Harndrang aus dem Schlafsack getrieben. Und auch die Idee auf ein Mittagessen, das allerdings gewohnt schmal ausfiel, Suppe mit Karotten und Fleisch. Nicht, dass sie schlecht gewesen wäre, aber nach einer Folge von Mahlzeiten, die für den deutschen Anspruch hart am Rand waren, wünschte ich mir etwas zum genießen. Das ist es, Genuss fehlt an diesem Essen.

Ein – wenn auch unvollkommener – Ersatz dafür ist der Kaffee, den ich mir in unserem großen Zelt mit Didis Espressokanne mache. Ein anderer kleiner Genuss ist das Aufrecht-sitzen, dass im großen Zelt möglich ist. Es war mein ausdrücklicher Wunsch, ein kleines Zelt für mich zu haben und das hatte ich bis heute auch. Gerade hoch genug um darin zu sitzen und nicht breiter als die große Luftmatratze, d.h. ca. 1,20 m. Das ist bei Sonnenschein eine gute Lösung, dieser erste Regentag hat gezeigt, dass sie bei schlechtem Wetter direkt in Untätigkeit und Depression führt. Deswegen bin ich vor einer Stunde in die zweite leere Kabine des großen Zeltes gezogen. Bis gestern wohnte Astrid darin, die allerdings abgebrochen hat um sich wegen verschiedener Unpässlichkeiten mal ein paar Tage von ihrer Mama betütteln zu lassen. Für mich eine recht glückliche Fügung.

16.9.2008, Dienstag

Heute hat der Kurs begonnen. Im Nachhinein betrachtet habe ich seit der Einweihung bis heute früh geschlafen, mit wenigen Unterbrechungen für Kaffee, Essen, Meditation.

Heute Morgen bin ich dann gleich zu spät gekommen, was erstens daran liegt, dass ich mich nicht gekümmert hatte, wann es losgeht und zweitens daran, dass ich mich in der fremden Kultur noch nicht sicher bewege und weiß, was ich erwarten darf. So hatte ich erwartet, dass die Eröffnungsveranstaltung abends sei (die Zeit der Schützer) und sah mich in dieser Erwartung bestätigt, als die Jungs um 9:00 Uhr anfingen, das Zelt für die Schuhe aufzubauen (was bis 10:00 Uhr nicht beendet sein konnte). Wie auch immer, es ging um 10:00 Uhr halt ohne Schuhzelt los.

Die Mitschrift des Kurses habe ich in einem roten neuen Buch begonnen, dem Nachfolger dieses blauen Buches.

17.9.2008, Mittwoch

Heute ist es mir endlich gelungen, die Kursgebühr zu bezahlen. In den Tagen zuvor gab es entweder keine Registration oder sie war unbesetzt. Auch das gegen jede deutsche Erwartung. Bei uns wäre Kasse-machen eine der ersten Tätigkeiten gewesen, die besetzt sind. Hier wird man eher im ungewissen gelassen. Organisation ist hier eher spontan oder lässt deutlich mehr Spielraum als bei uns. Gewöhnungsbedürftig.

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Didi ist beim Lama-Service gelandet und fährt mehrmals am Tag das Essen für die Lamas von der Küche zum Lama-Haus. Die Reste sind dann für das Küchenpersonal und manchmal auch für mich. Heute hat er zwei Hähnchenschenkel für mich zurückgelegt. Didi ist eine ganz eigene Nummer und irgendwie entzieht er sich jeder Beurteilung. An den Kursen nimmt er nicht teil, aber er hört sie sich über das simultane Übersetzungsradio an, er ist großzügig darin Dinge auszuleihen und in Gelddingen. Er ist schwierig, wenn es etwas zu entscheiden gibt und einfach, wenn er sich dann in einer Situation arrangieren muss. Er kann zur gleichen Zeit flexibel und eigenwillig sein.

[Ein Traumzitat:

Es gibt Menschen,

die wollen werden,

was sie sind.

Spätestens ab dann

müssen sie das nicht mehr.

, Ich-mich-meinen, …

In der Nacht vom 20. September auf 21. September geträumt, erinnert und aufgeschrieben.]

22.9.2008

Zum Thema Organisation gibt es immer wieder Überraschungen. Gestern hatten wir tatsächlich Licht bei den Schuhregalen. Die Regale selbst waren zwei Tage vorher angekommen. Eigentlich hatte sich jeder schon daran gewöhnt, dass die Schuhe im Hauptzelt hinten abgestellt werden.

23.9.2008

Und dann war das Licht wieder weg.

25.9.2008

Gestern von meinen letzten 50 € Essenstickets für den Rest der Zeit und einen Anhänger für Helen gekauft. Wollte während dieses „Urlaubs“ eigentlich nicht sparen, großzügig sein, wenigstens mit mir selbst, wenn nicht sogar mit anderen.

Und dann entwickelt sich die Geschichte hier so, dass ich kein Geld wechseln kann, die Post nicht auf die Sparcard eingehen kann und es keine Bank gibt, die die Traveller-Schecks eingelöst. Und ich wieder die Spar Nummer durchziehe.

28.9.2008

 

 

29.9.2008

Tag der Abfahrt. Gestern nach der Diamantgeist-Einweihung hat sich der Kurs sehr schnell aufgelöst. Plötzlich, na ja, nach und nach sind alle Zelte weg und auch die Leute. Zurück bleiben die, die auch vor dem Kurs schon da waren.

Auch wir haben unsere Zelte abgebaut und schliefen die Nacht im Cafeteriazelt, dass schon wieder wie eine Baustelle aussieht. Zuvor eine lange Lagerfeuersitzung um der Nachtkälte zu entgehen. Viel Alkohol bei den Einheimischen und auch Didi trinkt mehr als gewohnt (aber immer noch deutlich weniger, als ihm angeboten wird).

Irgendwann geht rum, dass Rinpoche morgen, also heute, eine Feuer-Puja abhalten wird und wir eingeladen sind. Beginn 10:00 Uhr, damit ist klar, da sich unsere Abfahrt verzögern wird.

Heute Morgen dann gegen 8:00 Uhr, nach einer durchgefrorenen Nacht (der dritten insgesamt, eigentlich ganz gut für „Zelten-im-September“), aus dem Schlafsack gekrabbelt. Frühstück in der Küche, so wie vor dem Kurs mit dem Team. Zwar nur wenig Kommunikation, weil nur wenige Englisch sprechen, aber alles gut.

Um 10:00 Uhr dann die Feuer-Puja. Ein Ereignis, das sich hinzog (Beschreibung im roten Buch im Anschluss), anschließend noch ein Extrasegen vom Lama. Danach Mittagessen und dann gibt es Getrödel mit Didi bis zum Abwinken und jenseits jeder Beschreibung. Jetzt ist 16:45 Uhr und zwischenzeitlich haben sich unsere Pläne mehrfach geändert. Zwischendrin war mal durchfahren angedacht, jetzt wollen wir nur noch bis Budapest. Mir ist alles recht, wenn’s nur losgeht.

30.9.2008

Die Nacht im Budapester Zentrum verbracht. Dort war die Unterbringung so einfach und unkompliziert wie selten. Im sogenannten VIP-Bereich gibt es eine Küche, ein Bad und drei hintereinanderliegende Zimmer mit Matratzen bzw. Platz für Isomatten. Hat man einmal in den Innenhof gefunden ist der Zutritt ohne jede weitere Anmeldung oder Bewohnerkontakt frei. Ein Schild informiert über den erbetenen Übernachtungspreis von 750 Ft. (drei Euro) bzw. vier Euro. Zu zahlen indem man den Betrag zu der nicht unbeträchtlichen Summen legt, die frühere Besucher schon auf dem Kühlschrank deponiert haben. Ein paar Lebensmittel gibt es auch noch im Kühlschrank.

Das alles ist sehr viel angenehmer, als in der Gompa zu schlafen, was in Budapest auch unangebracht wäre. Dort hängen eine ganze Anzahl Thangkas, zum Teil als Rollbild, zum Teil im Glasrahmen, und eine sehr schöne Statue von Weißer Schirm. Das kombiniert sich schlecht mit Isomatte und Reisegepäck.

Zudem sind die Besucher im VIP-Bereich unter sich, was das Gefühl vermeidet, dass man sich in irgendjemandes Komfortzone rumtreibt.

Heute Morgen ein entspannter Aufbruch, so gegen 10:30 Uhr waren wir auf der Straße, Ziel ist es, abends zuhause zu sein

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Was dann auch gelang!

 

Reisetagebuch Indien, Boddhi Zendo, 7.1. bis 28.1.2001

Reisetagebuch Indien, Boddhi Zendo, Teil 1, 25.1. bis 25.2.1999
Reisetagebuch Indien, Boddhi Zendo, Teil 2, 12.1. bis 7.2.2000

Vorwort zum 3. Teil (veröffentlicht am 31.3.2023), Kontext zählt.


7.1.2001, Sonntag
Wieder im Zendo. Ankunft gestern Morgen mit den Nachtbus aus Madras, nachdem wir den Donnerstag und Freitag noch einmal in Mahabalipuram verbracht hatten. Hier hat sich wenig und doch zugleich viel verändert. Vielleicht am besten beschrieben als atmosphärische Veränderung, die sich an einigen wenigen Äußerlichkeiten festmachen lässt.

Zunächst ist das Haus fertig, das letztes Jahr nur als Rohbau zu sehen war. Es steht links neben der Zufahrt zum Zendo und Ama Sami wohnt darin. Unmittelbar davor gibt es nun ein Tor und an dieses Tor schließt ein Zaun an, der oben mit Stacheldraht bewehrt ist. Ich mag das nicht, mit Stacheldraht geschützt und zugleich eingeschlossen zu sein.

Als nächstes gibt es einige „hilfreiche“ Schilder,  die den Umgang mit den Waschbecken oder der Bücherei “lehren”. Alles Dinge, die in den Jahren davor noch “mündlich überliefert” wurden, was zumindest den Eindruck eines freien Umgangs miteinander erzeugte. In der Bibliothek ist es nun nicht mehr möglich, sich selbst in der Ausleiheliste ein- oder auszutragen.

Kurz, einige Äußerlichkeiten lassen den Eindruck einer relativ rigiden Gesamtanlage der Dinge hier entstehen. Gestützt wird dieser Eindruck noch durch die Altersstruktur. Die meisten hier dürften zum Teil wesentlich über 50 Jahre alt sein.

Sehr viel schöner als in den Vorjahren ist der Innenhof gestaltet.

8.1.2001, Mittwoch
Beim Samu hat mich das Toilettenreinigen erwischt und während ich zuerst dachte, es sei eine Strafe dafür, dass ich den Toilettendienst zu Hause so sehr vernachlässigt habe, könnte es auch Belohnung sein für ich-weiss-nicht-was. Denn: die Arbeit ist erstaunlich schnell erledigt und danach habe ich Zeit, mich einer anderen Arbeit meiner Wahl anzuschließen.

<O>

Eine Beobachtung allgemeiner Art: Das Essen ist schlechter geworden, oder aber ich kann es nicht mehr so genießen. Insgesamt ist es zu wenig gewürzt, was einerseits daran liegen könnte, dass die Köchinnen versuchen, auf den europäischen Geschmack einzugehen. Andererseits aber auch in den Speisevorschriften der Yogis, die scharfes Essen als der Meditation abträglich ansehen, begründet sein könnte.

9.1.2001, Dienstag

Um beim Essen zu bleiben: gestern Abend eine kurze Szene mit D. beim Abendessen. […]

[…]

[…] Nach einiger Zeit schlüpft sie neben mir ins Doppelbett, da ich in meinem Zimmer habe und wir schlafen Arm in Arm ein. Mit keiner Lösung und der Vermutung, morgen so aufzustehen, wie wir heute schlafen gehen.

<O>

Heute morgen ein frühes aus dem Bett schlüpfen, noch vor dem Morgengeklingel. Meditation, wortloses Aneinander-vorbeigehen, meine Versuche, über kleine Berührungen mit Ihr Kontakt aufzunehmen, werden eher aus Höflichkeit, denn aus Neigung beantwortet.

10.01.2001 Mittwoch
11.01.2001 Donnerstag

12.01.2001 Freitag
Alles, was einen direkt berührt, berührt die anderen indirekt.

13.01.2001 Samstag

[Ich lese] Laurence G. Boldt: Zen and the art of making a living [und notiere seitenweise Fragen daraus, die ich mir  irgendwann einmal beantworten möchte. Was nie geschehen wird.]

14.01.2001 Sonntag

15.01.2001 Montag
Gefühle großer Verlassenheit, gestern ein freier Tag, zugleich Pongal – Erntedankfest – hier. Auf einem unserer Wege ins Dorf blieben D. und ich auf einem Felsen sitzen, Aussicht auf herrlichste Berglandschaft und Mittagsmond, und sprachen. […]

[…]

Nur allzu leicht räume ich in Gesprächen wie dem gestrigen ein, dass unsere Beziehung enden könnte, enden wird. Dass da ein junger zeugungsfähiger Mann kommen wird, mit dem sie das Kind haben könnte, von dem sie träumt (oder dass sie vorschiebt, um einen “objektiven” Grund für unser nicht-zusammen-sein-können zu haben). Ich kann diese Zeit leicht anschauen und darüber reden, dass es vielleicht der Sinn unserer Beziehung war, ihre Vater-Tochter-Dinger aufzulösen oder doch wenigstens ertragbar zu machen. Das tut beim drüber reden nicht mal weh, obwohl mir schon jetzt davor graut, die Trennung real zu erleben.

In meinen Fantasien bleibe ich mit ihr freundschaftlich verbunden. Ich bin ihrem Kind ein Onkel und manchmal besucht sie mich auf der „Wiese“.

Sonne.

Neben all dem haben wir ein “zweites Leben“, indem wir Pläne für unsere gemeinsame Zukunft machen oder doch zumindest ernsthafte gemeinsame Alternativen zu unseren jeweiligen gegenwärtigen Leben erwägen. Diese Alternativen sind nicht weniger gewollt, in nichts weniger mögliche Zukunft als meine Trennungsphantasien, auch wenn das zunächst unvereinbar klingt. Vielleicht geht es auch deswegen zusammen, weil ich diese gemeinsame Zukunft auch alleine leben könnte.

[…]

<O>

Heute morgen dann diese Verlassenheit, ausgelöst dadurch, dass sie sich, wie an den anderen Tagen zuvor auch, doch ohne dieses Ergebnis, an einen anderen Tisch setzt. Es ist einzig und allein meine Verlassenheit, bis zum Morgen haben wir gemeinsam in unserem Bett geschlafen und nach dem Frühstück versuchte sie, durch kleine Gesten Kontakt aufzunehmen.

Überwiegen die guten oder die schlechten Tage?

Beim Pinkeln schaue ich an mir herunter und mein Fuß ist mein Fuß, als ich Kind war. Wir gehen hier in der Zeit vor und zurück, ganz nach Belieben. Nur nicht unserem Belieben!

16.01 01. Dienstag
Der erste volle Tag des Sesshin.

17.01.2001 Mittwoch
18.1. 2001 Donnerstag

19.01 2001 Freitag
[Mein zweites Koan]

Dies also mein zweites Koan. Nachdem ich letztes Jahr ganz und dieses Jahr bis heute ausgesetzt habe, bin ich heute zum Dokusan, “um mich wieder ins Spiel zu bringen”.

Im Teisho gestern wurde mein erstes Koan erwähnt. Ich erinnere mich wieder daran, [… u]nd während im letzten Jahr das nur-sitzen vollkommen okay war, schien es mir dieses Jahr zunehmend ineffektiver, meint: bereichernd.

Wichtiger aber scheint mir der Gedanke und die Formulierung “wieder ins Spiel zu wollen”. Ich habe einen kurzen Moment gezögert ihn auszusprechen und er scheint mir auf so vieles mehr anzuspielen, als nur auf das Koan. Zuallererst wohl mein Berufsleben, ich habe hier eines der vielen How-to-lead-a-live-Bücher gefunden, aus Zen-Perspektive selbstverständlich.

Und darin geblättert, ja, auch anstecken lassen von der Möglichkeit (!), ein anderes, ausgefüllteres Leben führen zu können.

Das Schweigen während des Sesshins ist zu zweit noch einmal anders als alleine. Sich nicht mit Worten aufeinander beziehen zu können, ist doppelt schwer, wenn es sonst nichts gibt. Mir kommt es vor, als risse unsere Beziehung gänzlich ab, wenn wir schweigen. Meine Versuche, wenigstens über Blickkontakt in Beziehung zu bleiben, werden nicht erwidert, oder falls doch, stürzen sie mich in Unsicherheit? Ist dieser Blick ein liebender?

Vielleicht deswegen haben wir uns gestern eine Auszeit vom Schweigen genommen und, wenn wir alleine waren, miteinander gesprochen und geschwätzt. Wie wichtig gerade auch das Geschwätz ist, ist mir erstmals klar geworden. Es versichert uns der Beziehung, wo wir ihrer unsicher sind.

Was aber, wenn da keine ist? Manchmal fühlt es sich für mich so an. Ich spüre keine Verbundenheit, nichts Gemeinsames, suche das Dauerhafte unseres Paar-seins. Worin bildet es sich ab? Darin, dass wir manchmal etwas näher beieinander sitzen, ja, gar ein Zimmer. gemeinsam bewohnen? Und manchmal neben-, manchmal miteinander schlafen?

Gut, das ist ein schöner Anfang! Aber langt das aus? Nein, ich wünsche mir mehr. Wenn ich auch nicht genau benennen kann, wie dieses Mehr heißt. Ein Teil dieses Mehr heißt sicher. “Annahme”. Ich will angenommen sein, so wie ich bin. Ich wünsche mir das Gefühl, dass es ausreicht, zu sein, was ich bin, um anerkannt zu sein.

20.01.2001 Samstag

Dokusan: “[Mein zweites Koan]”

Auf abstrakter Ebene ist es recht einfach, das Koan zu sein. […]

Sobald dann aber ich den Versuch unternehme, in die Situation zu gehen, sie mir bildhaft vorzustellen, gibt es wieder “zwei” […].  Alle Versuche uns zwei näher zueinander zu bringen … .

Soweit und etwas gerafft mein “first approach“ an den Koan […]. Mein erster Gedanke, eine kleine Pantomime  aufzuführen, scheiterte an der Idee zur Durchführung. Wie stellt man [die Antwort auf das Koan] pantomimisch dar? Und schon war der Moment herum, den ich gehabt hätte. “Next time!”

<O>

 

Kontinuität
Verlässlichkeit
Zuwendung
Kontakt
Annahme

Wie eine Kerze im Zug.

<O>

Was „wir“ heute abliefern, ist ohne Worte im wahrsten Sinne des nicht-gesprochenen Wortes.

[…]

<O>

[…]

21.01 01. Sonntag
Ende des Sesshin nach dem Frühstück. Gewaschen und umgezogen sitze ich in der Sonne vor meinem Zimmer.

<O>

Es scheint, als ob die gestrige Dunkelheit zum allergrößten Teil, sagen wir so um die 80 Prozent, in meinem Kopf war. Überbewertungen und -reaktionen. Vielleicht auch ein wenig gegenseitige Hochschaukelei. Nichts auf jeden Fall, was die innere Raserei rechtfertigen könnte, die ich veranstaltet habe. Nichts vor allem, was nicht mit ein bisschen Nachgiebigkeit aus der Welt zu schaffen gewesen wäre. Aber ich musste ja den Endkampf um den Zustand unserer Beziehung daraus machen.

Was ist daraus zu lernen? Zunächst einmal, da gibt es das Gefühl, vollkommen unverbunden zu sein. Es gibt das Fehlen jeder inneren Sicherheit, dass “sie mir gut ist”. Es gibt in mir die Bereitschaft, mich zum eigenen Schaden entgegen meiner gegenteiligen Wünsche zu distanzieren. Es gibt die Bereitschaft, Situationen nach folgendem Muster zu strukturieren: Sie behandelt mich schlecht und ich werde das nicht akzeptieren.

Ich neige zur Unnachgiebigkeit.

Festzuhalten ist auch, dass ich unglaublich viel Energie damit verschwende, wenn ich so “schweigend vor mich hin wüte”. Da ist kaum etwas für wirkliche Meditation übrig geblieben.

Nachdenken möchte ich darüber, was es bedeutet, dass meine inneren Dialoge so verletzend sind. Vieles würde ich in einem realen Gespräch so nicht sagen, weil ich fürchten würde, schwere oder nicht heilende Wunden zu schlagen.

Als Aufgabe habe ich nun „zurückzukehren“. So viel Abkehr, so viel Entfernung war in meinen Gedanken. Und diese Gedanken haben für mich Realitätswert gehabt, man(n) wechselt nicht so einfach seine Realität.

Ich muss mich also nicht, oder deutlich weniger, schützen. Muss nicht heute die Spielregeln unserer zukünftigen Beziehung auskämpfen. Muss mich nicht darum sorgen, ob ich derjenige bin, der immer kommt. Muss mich nicht ungeliebt fühlen. Vor allem muss ich mich nicht entfernen um all diese miesen Gefühle ein für allemal auszuschließen

<O>

Einige schöne Rückmeldungen erhalten. Es war angenehm, mit mir Gemüse zu schneiden (Wir waren auch nach meiner Meinung ein gutes Team). Und ich hätte erstaunlich ruhig gesessen. Ein Lob, das mich dann doch erstaunt, weil es sich nicht mit meiner Innenwahrnehmung deckt.

22.01.2001, Montag
23.01.2001, Dienstag,  [Mein drittes Koan]
24.01.2001, Mittwoch

25.01.2001 Donnerstag
[Donnerstags besteht die Möglichkeit ins nahe gelegen Städtchen, Kodaikanal, zu fahren.]

<O>

„Es gibt keine Lösung, weil es kein Problem gibt.“
Marcel Duchamp

<O>

Wie es mit dem “[Koan]kram” weiterging?

Ich ließ drei Tage herumgehen bis ich schließlich wieder zum Dokusan ging, nicht um das Koan zu lösen, sondern um im Gespräch zu bleiben. Ich sagte, ich wollte nur sicherstellen, dass er keine kleine Pantomime von mir wünsche, erstens, und zweitens seien mir die metaphorischen Bedeutungen [des Koans] durch den Kopf gegangen – Wünsche, Begierden – die zu zeigen ich noch viel weniger imstande sei.

Gewiss, manchmal seien kleine Darstellungen gefragt und manchmal gehe es auch um die Metaphern. [… U]nd setzt sich hin und schließt die Augen und ist [das Koan]. Vermutlich zumindest, denn so genau war das von außen nicht zu erkennen, was innen geschah.

Kurze Pause, dann “I will give you and new koan: [Mein drittes Koan]” Ich wiederholte die Frage und war entlassen.

So also bin ich nun bei meinem dritten Koan. Ohne die ersten zwei gelöst zu haben. Oder habe ich das, ohne es zu wissen? Ich bin mit neuem Interesse an der Literatur nun auf der Suche nach Hinweisen darauf, wie mit Koans umzugehen ist. Wichtig ist wohl, zum Koan zu werden, wie auch immer das erreicht wird. In einigen Schulen gehört es wohl dazu, dass Koan vor dem Versuch, es zu lösen, erneut aufzusagen, Wort für Wort auswendig. In anderen (oder den gleichen?) wird es während der Meditation in Gedanken Wort für Wort rezitiert. Ich muss mehr darüber herausfinden.

<O>

Eigentlich möchte ich über D. und mich schreiben, aber was? Unseren Groll aus dem Sesshin haben wir ab-, vielleicht auch nur beiseitegelegt. Ein Gespräch während des Aufstiegs auf den Peak nahm den für uns so typischen Verlauf einer ersten und langsamen Annäherung, der dann der Gesprächsabbruch seitens D. folgt, den sie oft so setzt, dass einfach durch räumlichen Abstand oder Menschen drumherum eine Fortsetzung wirklich unmöglich ist. Ich bleibe dann „angebrochen“ zurück und kann mich mit mir selbst unterhalten. Einziger Vorteil, ich muss nicht auf die Formulierung achten, denn da ist niemand mehr, den ich verletzen könnte.

Im Ernst, diesen Verlauf haben seitdem noch zwei weitere Gespräche genommen und ich vermute auch einige zuvor, ohne dass ich ihn zu diesem Zeitpunkt schon hätte benennen können. Aber was geschieht da? Ich glaube, sie wird einfach ungeduldig, weil sie von mir keinen Beitrag erhält, wie sie ihn erwartet. Was genau ihre Erwartung ist, weiss ich nicht.

Ganz allgemein formuliert sollte ich wohl mehr von mir erzählen. Leider erkennt sie nicht immer, wenn ich das tue. Und auf dem Weg zum Peak habe ich mich an einer Stelle dreimal wiederholen müssen, nur um festzustellen, dass sie meine Innenweltdarstellung unbedingt als Außenweltdarstellung diskutieren und bewerten wollte. Ein weiterer Versuch scheiterte am steilen Aufstieg […].

Dass ich nicht ihr Therapeut sei, muss ich wohl mal unbedacht gesagt haben, und auch dies trägt sie mir nach. Ebenso meine Anspielung auf den Beginn einer Therapiesitzung, als sie mich nach ich-weiss-nicht-mehr-was fragte. Dabei hätte ich mich durchaus darauf eingelassen. Mir ist ihr in-mich-dringen nicht so unangenehm, wie sie denkt.

Gewiss auch deswegen nicht, weil ich in der Vergangenheit bemerkt habe, dass sie solche engen Momente als Vorspiel benutzt. Geteilter Seelenschmerz als Stimulanz. Da scheinen beide von beidem etwas zu haben. Warum also nicht? Hat vor allem den Vorteil, dass es funktioniert. Ganz anders als ihre erfolglosen Versuche, mich hervorzulocken, wenn ich ohnehin schon sauer und umso mehr verschlossen bin. Bis ich dann halbwegs gesprächsfähig bin, ist ihre Geduld schon erschöpft und siehe-oben.

<O>

Enttäuschung also auf beiden Seiten. Sie hätte sich wohl mehr Unterstützung, Zuspruch oder Nachfrage bei Ihren persönlichen Problemen gewünscht. Ein Anspruch, dem ich nur zeitweise und mit Mühe nachkomme

Aber auch meine Hoffnung auf ein etwas freudvolleres und unbeschwerteres Leben hat sich nicht erfüllt. Stattdessen kämpfe ich nun an in fast allen Lebensbereichen mit dem Gefühl des Unvermögens.

26.01 Freitag
27.01 Samstag

28.01 Sonntag
Unser letzter Tag morgen fahren wir ab. Zunächst nach Madurai, wo wir noch zwei Tage verbringen werden. Danach nach Madras oder Mahabalipuram, wo wir nur noch auf den frühen Abflug warten werden.

Heute morgen habe ich noch einige Blumensamen aus dem Garten entnommen. Und auch einen Ableger der Minze. Ich möchte auch versuchen, einige Ableger des Koreagrases großzuziehen, es wächst so hübsch puschelig. Das mag ein Risiko sein, weil es angeblich nicht winterhart ist.

Nun, ich werde sehen.

 

Reisetagebuch Indien, Boddhi Zendo, 12.1. bis 7.2.2000

Das 2. Jahr im Boddhi Zendo, die Beschreibung des ersten Jahres gibt es hier.

Perumalmalai, Palani Junction

13.1.2000, Donnerstag
Nach einer Nacht im Bus frühmorgens am Mittwoch in Perumalmalai angekommen, immer noch vom Fieber geschwächt. Zunächst war es schwierig, den Weg zu finden, aber einer der Teeverkäufer hat mich “eingefädelt” und danach ging’s nur noch geradeaus. Auf dem Weg den Berg hinauf habe ich den Sonnenaufgang sehen können, leider war ich so angestrengt vom Rucksack tragen, dass ich es nicht recht genießen konnte.

Umso schöner dann die Ankunft im Zendo. Ich kam kurz nach Beginn der ersten Meditation an (6:15 Uhr) und weil ich nicht stören wollte, ging ich ohne zu läuten hinein, nahm mir einen Stuhl im Innenhof und wartete.

Diese erste Stunde ist auch die Stunde des Dokusan und so konnte ich es einmal von außen erleben. Erst geht der Roshi  zu seinem Dokusan-Raum, kurz darauf folgen die ersten zwei seiner Schüler und warten, bis die Lehrgespräche beginnen. Mit dem Läuten der Glocke geht der erste hinein, wenn die Glocke abermals läutet ist sein Dokusan beendet und der nächste Schüler geht hinein. Der erste geht zurück in die Meditationshalle, sagt einem der noch wartenden Schüler Bescheid, setzt sich und meditiert weiter. Besonders schön war, dass gleich die ersten Schülerinnen Bekannte vom ersten Jahr waren, Angelika, Regina und Rosmarie. Alle drei über 60, das will ich erwähnen bei dem gehäuften Auftreten von Frauennamen. Es war wie ein nach Hause kommen.

Meinen ersten Handschlag erhielt ich dann vom Roshi selbst. In jedem Film wäre er auf mich zugekommen und hätte etwas in der Art von “Da bist du ja endlich nach so vielen Inkarnationen” gesagt. Stattdessen sagte er: “Uhh, I forgot your name.” Anschließend plauderten wir etwas über das Wetter, wie das traditionellerweise schon seit Jahrhunderten zwischen Schüler und Meister geschieht.

Tatsächlich ist das Wetter durchaus der Erwähnung wert. Seit fünf Tagen war Regen gefallen und mit mir kam zum ersten Mal wieder die Sonne heraus. Alle sind froh darüber. Anschließend hatte ich frei, den ganzen ersten Tag, und habe ihn zum Ausschlafen genutzt. Ich habe eine handfeste Erkältung, zum Schnupfen ist es ein trockener Husten hinzugekommen.

Beim Liegen heize ich auf, aber wenn ich mich bewege, fühle ich mich wohl. Insgesamt ist das alles lästig, aber nicht mehr bedrohlich. Zwei meiner Bekannten aus dem Vorjahr haben mir angedroht, mich zu pflegen, falls ich abbaue und für schlimmere  Komplikationen hat das Schicksal mir einen deutschen Arzt hergeschickt, der ebenfalls “sitzt”.

Kurz, ich bin gut angekommen und eigentlich kann es nur besser werden.

<O>

Es ist 3 Uhr morgens und ich bin wach, kein Wunder, wie schon beschrieben habe ich den ganzen gestrigen Tag geschlafen, dann ab 22 Uhr wieder und irgendwann muss es ja mal gut sein. Auch heute ist noch einmal frei und wenn es möglich ist, fahre ich nach Kodai um eine E-Mail abzusetzen, Helen Nachricht von meiner glücklichen Ankunft geben.

<O>

Am anderen Ende des Donnerstags war ich nicht in Kodai, fühlte mich nicht danach. Habe es vorgezogen, auch diesen Tag im Bett zu verbringen. Bin nur zu den Mahlzeiten aufgestanden, wenig Kontakt zu den anderen. Heute Abend die erste Meditation sehr unruhig, viele Gedanken, ich bin im Kopf dabei Briefe zu schreiben und nette Formulierungen zu erfinden, als sei ich nicht für mich hier, sondern dafür, es anderen zu beschreiben.

Links von mir sitzt Regine, womit ich sehr zufrieden bin. Erstens mag ich sie und zweitens sitzt sie sehr ruhig. Da kann ich mich in schwierigen Zeiten mitnehmen lassen. Rechts von mir ist noch frei und Platz für Überraschungen. Die Abläufe sind mir noch fremd. Ich muss mich erst daran erinnern, selbst die Handhaltung beim Gehen finde ich nicht mehr.

14.1.2000, Freitag
Auch bei der ersten Morgenmeditation wieder Briefe im Kopf. Ich werde sie wohl demnächst mal aufschreiben müssen, um sie loszuwerden.

Dokusan habe ich an mir vorübergehen lassen. Zur Ausrede habe ich, dass sie es etwas anders handhaben als im letzten Jahr. Keine Zeichen mehr mit dem Buch und so. Das gilt allerdings nur noch zwei Tage, während des Seshins wird es wieder sein wie gewohnt. Und “wie gewohnt” habe ich ja gerne.

<O>

Samu [Arbeit für die Gemeinschaft] war den ersten Tag im Garten, ab morgen werde ich die Gänge vor den Türen kehren.

15.01.2000 Samstag

16.01.2000 Sonntag
Es fällt mir schwer, nicht zu depressiv zu werden. Die Erkältung (und vielleicht die Depression) lastet auf mir. Glücklicherweise scheint die Sonne und ich sitze vor dem Outdoor-Oak mit Blick in die Berge.

[Es beginnt ein Brief, den ich anscheinend nicht abschließe und von dem ich nicht weiß, ob ich ihn jemals abgesandt habe, überschrieben mit:]

Letter to all – Einer für alle.

Bin glücklich und fiebrig (Erkältung) in Indien angekommen. Hier hat sich wenig verändert seit dem letzten Mal, für die Jahreszeit ist es zu heiß und die Männer tragen seltsame Röckchen. Das zu erkennen ging schnell, auch hier im Zendo gibt es große kulturelle Unterschiede.

Vielleicht am Erstaunlichsten: hier wird mit großer Selbstverständlichkeit gespült. […]. Sogar der Roshi spült seine Teller selbst, obwohl er das ja leicht von seiner europäischen Anhängerschaft erledigen lassen könnte. Ich jedenfalls würde ihm gerne die Teller waschen, wenn er mich dafür ein kleines bisschen erleuchten würde.

Aber nein, spülen und erleuchten muss sich jeder selbst. Überhaupt, das mit der Erleuchtung ist harte Arbeit und nachdem ich hier Menschen wiedergetroffen habe, die vor einem Jahr auch hier waren, vermute ich, dass es mit vier Wochen Intensivbemühung nicht getan ist. Schade eigentlich!

Ein besonderes Hindernis scheint neben den schmerzenden Beinen meine Neigung zu sein, während der Meditation an launigen Formulierungen für meine E-Mails zu denken. Dabei sollte ich eigentlich gar nicht denken (vereinfacht ausgedrückt). Hat schon meine Mutter gesagt: “Bub, du denkst zu viel.” Hat sie möglicherweise anders gemeint als der Roshi.

Das Haupthindernis aber, das EGO, muss man sich vorstellen wie die Matrix oder das Gedächtnisimplantat in Total Recall. Nur eine Illusion, aber gut gemacht. Spätestens wenn wir es für eine eigene Leistung halten, dass wir nicht mehr in die Windeln scheißen, ist die Ego-Implantation gelungen und zwingt uns im weiteren Verlauf zu beruflichem Engagement, Drogenkonsum, Diät oder Psychotherapie, die Vorlieben sind da verschieden.

Aber ich fürchte ich schweife ab. [Ende des Briefentwurfs]

Montag, der 17.01.2000

Dienstag, der 18.01.2000, 3 Uhr morgens.
Gestern Abend der Beginn des Sesshins. Noch am Nachmittag sind einige neue, und wie es scheint unerfahrene Menschen gekommen. Sie haben harte Arbeit vor sich.

So auch ich. Ich doktere an den Sachen rum, an denen man halt am Anfang rummacht. Wie sitze ich? Welche Haltung? Wie nicht denken? Zählen oder nicht? Kurz, ich bin hier am Anfang.

Dadurch, dass ich an den Tagen geschlafen habe und mein Tag-Nacht-Rhythmus verschoben ist, wache ich in den Nächten auf und bleibe wach. Mit den Gedanken bin ich oft zu Hause bei Helen. Am Platz. Die Kinder nehmen weniger Gedanken in Anspruch. Ich komme hier nicht an.

Sicher ist meine Erkältung, die sich hartnäckig hält, Ursache und Wirkung zugleich. Auf undeutliche Weise hat das mit Schuldgefühlen zu tun, weil ich schon wieder weg bin.

Und es hat zu tun mit meiner Intuition, dass ich nicht reisen sollte dieses Jahr. Dieses Gefühl war ja sehr stark und ich habe dann eine Kopfentscheidung für diese Reise gemacht. Weil ich mich von undeutlichen Ängsten, die sich auf Krankheiten oder Unfälle beziehen, nicht bestimmen lassen wollte. Zudem hatte sich Helen gerade von mir getrennt und vor mir lag ein langer depressiver Winter.

Vielleicht sagt die Intuition aber nur “Alles kommt anders, als du denkst, und du wirst diese Reise nicht genießen können“ oder “Was einmal gut war, muss in der Wiederholung nicht gut sein“.

Ohne die neuen Jungen wären wir hier ein ziemliches Altersheim, mehrheitlich Menschen über 50, oft viel älter! Da schleicht sich die Frage ein, was ich hier eigentlich will. Denn fortsetzen werde ich die Praxis zu Hause nicht, so viel scheint mir festzustehen.

“Die Alten” sind anscheinend aber bereit, viel Zeit aufzuwenden, haben sie vielleicht auch eher (Quatsch, ich habe alle Zeit der Welt). Letztlich, vielleicht sind sie auch näher dran an Krankheit, Alter und Tod.

Mein Start hier in der ersten Woche war von vier annähernd freien Tagen begleitet, was wegen der Erkältung gut war, mir aber andererseits zu viel Luft für depressive Gedanken gelassen hat. Ich will nicht depressiv sein. Vielleicht heisst so das Problem. Ich will nicht durchhängen, aber ich tue es und diese Woche wurde das auch durch meditatives Nicht-Tun nur schwach verdeckt.

“Wenn ich schon nichts tue, dann will ich wenigstens das richtig tun, nämlich meditativ.“ So war mein Ansatz vom letzten Jahr. Wie der Ansatz dieses Jahr heißt, weiß ich nicht. Da war ja zunächst nur dieses Darübernachdenken, ob es noch mal Sinn machen würde [, ein weiteres Mal ins Zendo zu kommen].

Was sich nach außen als „Vielleicht mache ich das noch mal”  geäußert hat. Auch Helen gegenüber musste ich die Möglichkeiten offen halten, weil “nicht gehen“ dann einfacher wäre als im umgekehrten Fall (Ich will das nicht noch mal) dann doch zu gehen.

Interessanterweise hat dann diese offen gehaltene Tür Eberhard erlaubt, den Fuß dazwischen zu stellen: “Magst du das nicht mit Bangladesch verbinden, denn da möchte ich gerne noch mal hin?“ Eigentlich hat sich da nur eine offen gehaltene Möglichkeit in meinem Leben verselbstständigt, gewissermaßen einen unerwarteten Zug entwickelt.

Diese Zugkraft zu entwickeln war aber nur möglich, weil ich „allein“ war, verlassen und ohne Aussicht auf Besserung. Ich wollte, ich könnte an dieser Stelle klarere Gedanken entwickelt. Es gibt einen Anteil Helens, der mitverursachend für diese Reise ist (sie würde das vermutlich empört abstreiten).

Gesetzt der Fall, die damalige Trennung von mir wäre – und sei es nur zum Teil – bedingt gewesen durch die Angst vor dieser Reise. Dann hätten wir es mit einer klassischen neurotischen Grundstruktur zu tun, die hervorruft, was sie abwenden will. Ich traue uns so etwas zu.

Soweit zum Ansatz, warum ich eigentlich hier im Zendo bin, möglicherweise aus Versehen, neurotischerseits.

Dass ich meiner Winterdepression auch in Indien nicht entgehen kann, wäre vorhersehbar gewesen.  Dass ich jetzt, da ich bald aufstehen muss, langsam beginne müde zu werden, auch. Nennenswerte Gedanken. Keine mehr.

<O>

Erste Meditationseinheit: heftige sexuelle Fantasien. Geht die Zeit sehr angenehm bei rum! Bleibt aber auch die Erkenntnis, dass Helen und ich unsere Möglichkeiten noch lange nicht ausgereizt haben.

Die Erkältung hält immer noch an, Schnupfen und Husten. Kaum noch der Erwähnung wert, weil gutmütig im Hintergrund. Im Vordergrund immer wieder fiebrige Schübe und ein unglaubliches Schlafbedürfnis. Ich bin in ganz ungewohnter Weise geschwächt.

Im Laufe des gestrigen Tages hat sich ein Druck im linken Unterkiefer spürbar gemacht, den ich jetzt für den Auslöser all meiner Kränkelei halte. Irgendeine Entzündung im Unterkiefer. Gerne würde ich mal mit jemand darüber reden. Aber während des Sesshins ist das nur schwer möglich. Ich hoffe, dass ich nach dem Sesshin die Entzündung mit Antibiotika platt machen kann. Wenn das so einfach geht, ich muss mich beraten lassen. Als einer der jüngeren hier sollte ich bei den älteren genügend medizinische Erfahrung finden.

Im Moment beginnen Kopfschmerzen, auch das eine neue Erfahrung. Ebenfalls links, genau wie die Nebenhöhle, von der ich kurz befürchtete, sie sei der entzündliche Übeltäter. Ich glaube aber, dass ich die Nebenhöhle mit Imaginationen während der Meditation frei gekriegt habe.

Mit dem Unterkiefer will das bis jetzt nicht gelingen. Vielleicht fehlt mir das richtige Bild oder irgendetwas anderes. Alles sehr unklar, das!

Jetzt kehren!

<O>

Heute Nachmittag Eucharistie. Wollte ursprünglich nicht teilnehmen, saß dann aber auf einmal doch drin, weil ich auf der Ankündigung mal wieder Thursday mit Tuesday verwechselt habe. Und dann Reginas Ankündigung falsch verstand.

Habe also den Gottesdienst mitgemacht und gegen Ende gibt es dann ja Blut und Fleisch Christi. Hatte beschlossen, das ganze Programm mitzumachen und als ich dann plötzlich die Hostien und den Wein vor mir hatte, habe ich es erst begriffen: Wein, Hostien darin eintunken, essen und weitergeben.  Kein Gottesdienst, sondern der lustigste Rückfall der Welt.

Interessant ist , dass wirklich sofort der Gedanke kam, die Erfahrung zu wiederholen. Nur ein Glas Wein, vielleicht mal als Stimmungsaufheller? Nein, das werde ich wohl lassen. Aber die Lust auf “mehr” war wirklich sofort da.

<O>

Heute Mittag abermals starke Kopfschmerzen links, die circa eine Stunde anhielten und dann wieder verschwanden. Stärke so, dass ich über Schmerzmittel nachgedacht habe. Könnte sein, dass sie gerade wieder beginnen. Vermutlich komme ich aber früh genug ins Bett, nur noch ein Stündchen meditieren.

Donnerstag, 20.01.2000

Freitag, 21.01.2000

Samstag, 22.01.2000
Einige unsortierte Gedanken.

Internet absuchen nach

      • Fuller und Dome
      • Hofstadters Metamagicum.
      • Wing Chun
      • Zendo

Seiten sammeln, die über Dinge berichten, die mich mal mehr beschäftigt haben. Verweist auf digitale Darstellung meines Lebens

      • Zwiegespräch,  Excerpt machen, Helen darüber schreiben
      • Idee Kursangebot umsonst und draussen
      • Werkzeug zurückziehen und sortieren
      • Eventuell Kinderwagen ebenfalls an großen Wagen anschließen
      • Finanzplanung neu, wofür will ich Geld ausgeben?

Mir gehen unglaublich viele Dinge während der Meditation im Kopf herum. Ist dann gewiss nicht mehr Zen. Nennen wir es Introspektion! Soll ja auch heilsam sein. Und gleich geht’s weiter.

Sonntag 23.01.2000, morgens
Ende der Sesshins nach dem Frühstück.

Zwischendrin habe ich einen Tag verloren, war der festen Überzeugung, dass heute Samstag sei und das Sesshin einen Tag früher als geplant endete. Ist aber nicht so, wie ich mir glaubhaft versichern ließ. Insgesamt ist dieses Sesshin von meinen “verschieden” Krankheiten überschattet gewesen und wenig “erfolgreich” im Sinne der Zen-Meditation. Wenig bei meinem Atem geblieben, immer wieder die “Vermehrung der Begriffe” (sich in Gedanken verlieren). Manchmal erlaube ich mir das auch mal, es kann entspannend sein oder auch von schmerzenden Knien ablenken.

Auf der positiven Seite steht, ob Zen oder nicht, dass es mir relativ leicht gefallen ist, die langen Zeiten durchzumeditieren oder zumindest von außen den Eindruck zu erwecken. Ich neige dazu, meine Leistung abzuwerten, bemerke ich gerade. Auch eine solch lange Zeit der Introspektion ist einiges wert.

<O>

Gedanken an […, der mich mal sehr verletzt hat]

Für welche Teile unserer Geschichte könnte ich mich von den “Begriffen” trennen, den Erwartungen, den Vorstellungen, wie etwas zu sein hat. Zum Beispiel Freundschaft. Und wo ist Vergebung möglich? Ich glaube, Vergebung ist mir möglich, aber da ist die große Angst vor der Wiederholung, die Angst, abermals verletzt zu werden.

Da ist auf kindlichem Niveau ein “Ich will wieder gut mit dir sein, wenn du mir versprichst, das nie wieder zu tun.”

Montag, 24.1.2000
Mein Leben kommt mir sehr klein und nichtig, wertlos vor. Nichts womit ich renommieren könnte. Oder zumindest nichts, womit ich vor mir selbst renommieren und bestehen könnte. Was habe ich getan? Was habe ich in die Welt gebracht? Wie wenig da ist!

Wechsel vom Brief zum Tagebuch. Der Brief soll positiv bleiben und zumindest nicht zu depressiv werden. Sitze vorm Blatt und springe von Gedanken zu Gedanken, wie ich das manchmal auch während der Meditation mache.

Viel lieber aber wäre ich in unserem Gemeinschaftsraum, die Füße auf den Ofen gelegt und mit irgendwem über irgendein nichtiges Etwas ein Gespräch führen. Bewirkt Meditation irgendetwas bei mir? Im Moment zumindest geht es mir schlechter als gewohnt. Depressive Gedanken, Gefühle des Unwerts.

Dienstag 25.01.2000
Hepar sulfuris, alle drei Stunden drei Kügelchen für zwei Tage.

Mittwoch, 26.01.2000
Wanderung zum Peak.

Donnerstag 27.01.2000
D.E. Harding Book of Leben und Tod.
Leseempfehlung des Roshi.

Heute fragt Ama Sami mich, was ich gerade lese und bietet anschließend an, mir Literatur zu empfehlen (siehe oben). Ich solle das mal lesen, wir könnten darüber reden, “beside the tea” und dann “maybe he would give me another one.” Ach ja! Das Gewechsel zwischen Englisch und Deutsch.

Ich finde es schön, dass er auf mich zugekommen ist, wenngleich es mich auch etwas unter Druck setzt. Zumindest muss ich mich ja formulieren in Bezug auf das Gelesene. Und das ist nicht immer einfach. Vielfach habe ich ähnliches ja schon gelesen, vielleicht sogar verstanden in dem Sinn, wie es einst hingeschrieben war. Nur erfahren habe ich es gewiss noch nicht. Wie also sich darüber äußern?

Morgen kommen 15 Schüler von der Kodai-Schule und ich habe erstmals Misstrauen in mir gespürt. Mein Geld, das die ganze Zeit in einem unverschlossenen Zimmer lag, versteckt. Die Jungen sind ja manchmal weniger gefestigt, sage ich mir.

Muss ich mir darüber Gedanken machen? So wenig wie über anderes.

In mir scheint etwas zu sein, dass einen Ausgleich zur Heiligkeit sucht. So wie ich damals nach meiner Zendo-Zeit in diesen dusseligen Horrorfilm musste. Habe mich eben lange damit entspannt, die mitgebrachten Pin-up-Girls anzuschauen (nach der Lektüre eines Teils der vom Roshi empfohlenen Literatur).

[… .] Trotzdem, meine Libido ist ruhelos am hin- und herschweifen. Selbst an alte Frauen heftet sie sich, wenn keine jungen da sind. Und hier sind gerade keine jungen. Obwohl, Amelie ist heute wiedergekommen. Nun, auf diese Weise habe ich in “jungen” Jahren schon erfahren dürfen, wie der alte Schwerenöter dann die gleichaltrigen Frauen anschauen wird. Und auch im Alter gibt es grosse Unterschiede. Manchen der alten Damen hier sieht man noch an, wie schön sie einmal gewesen sein müssen. Es wäre richtiger zu sagen, dass sie noch immer schön sind, nur eben gealtert.

Ein anderes großes Thema neben den Frauen ist Gewalt und Rache. Das geht mir im Kopf herum. […, der Typ], den ich an die Wand gestellt habe [und aufgrund dessen ich dann einigen Ärger hatte], ruft Rachegelüste in mir hervor. Zugleich auch die Gewissheit, dass jede Rache in letzter Konsequenz auf mich zurückfallen würde. Also nichts mit Rache. Aber schwer, sich davon zu trennen.

Und dann Gedanken an […], überhaupt nicht zu lösen, alle Probleme, die ihn betreffen. Weil da keine Vernunft ist, kein gemeinsames Weltbild, nur Wahn. Vielleicht wäre ich in einer ähnlichen Welt wie er, wenn ich meine Rachegedanken für Realität oder echte Pläne halten würde. Wenn ich versuchen würde, sie auszuführen. Wie leicht es ist, sich im Wahn zu verlieren.

Aber es bleibt das Gefühl der Bedrohung, die von ihm ausgeht, und mir fällt nichts anderes ein, als Gewalt mit Gewalt zu begegnen. Was überhaupt keine Lösung sein kann. Vielleicht hat der Buddha Sex & Crime vergessen in seiner Aufzählungen der wirklichen Probleme.

Freitag, 28.1.2000
Habe eben hinten [ins Tagebuch] Hannahs Bild und ihren Erinnerungszettel für mich eingeklebt. Vielleicht weil ich mich einsam fühle und gerne zu Hause wäre. Eine sentimentale Aufwallung. Ein Anfall von Weinerlichkeit. Wie auch immer, ich glaube, die nächsten Jahre werde ich zu Hause bleiben oder Helen und die Kinder mitnehmen (oder nur Helen oder ganz jemand anderen, falls Sie mich zum Teufel jagt).

Ich muss diese letzte Klammer schreiben. Ich bin mir ihrer nicht mehr auf selbstverständliche Art und Weise sicher, obwohl ich es gerne wäre. Aber das ist zuerst intellektuell und letztlich auch aus Erfahrung nicht möglich.

[…] Vor mir auf dem Schreibtisch liegt aufgeschlagen der Wasserfarbkasten, daneben mehrere vorbereitete Untergründe für Mandalas. Aber nichts zieht mich an. Der Gedanke an das Malen langweilt mich schon. Keine neuen Ideen in mir und wenig Antrieb, die alten zu wiederholen. Mir fällt dieser Tipp ein, mit dem Kulturschock umzugehen. Nein, ich habe keinen! Es wäre ratsam, sich Dinge mitzunehmen (Kassetten, Bücher, Sportzubehör, etc.) mit deren Hilfe man sich seiner Identität versichern könne. Dinge, die man zu Hause mag und die auch im Ausland funktionieren. Der Farbkasten ist ein fehlgeschlagener Versuch, diesem Tipp nachzugehen. Ansonsten ist da nicht viel, das Tagebuch noch und ein deutsches Buch, das ich endlich nicht nur lesen, sondern auch verstehen will.

Nein, das einzige, was funktioniert, um mich zu fühlen, wie ich mich manchmal zu Hause fühle, ist die Form [eine festgelegte Abfolge von Bewegungen, die der Automatisierung eben dieser Bewegungen im Kampf dient]. Sie gibt mir ein Gefühl der Identität, des Ich-Seins. Aber man kann nicht dauernd die Form machen und die Wirkung ist ja auch nur begrenzt.

All das bestätigt natürlich die buddhistische Sicht, das Fehlen eines Ich. Da ist kein Günther übrig, wenn man ihn aus seiner gewohnten Umgebung nimmt. Da formt sich etwas Anderes, Neues in einer neuen Umgebung, das sich gewohnheitsmässig Günther nennen lässt, gewiss auch äußere und innere Ähnlichkeiten aufweist, zu dem, der vorher war. Aber doch unterschieden von vorher ist, wie die vorherige Umgebung zur jetzigen. Es gibt keinen inneren Kern des Günther-seins. Es gibt nur ein Ego, das sich für Günther hält und dem das Beschriebene gar nicht gefällt und das sich durchaus in Erinnerung bringt.

Durch Missstimmungen wie der gegenwärtigen (“Bring mich heim, dorthin, wo ich unzweifelhaft existiere!”) oder durch Fantasien von Allmacht und Ohnmacht.

<O>

Frischer Wind in unserer kleinen Gemeinde. “The students” sind da, eine Gruppe indischer Schüler, die sich drei Tage lang Meditation anschauen. Ziemliche Unruhe, keiner weiß, wie und wo. Bis jetzt sind die Untergruppen noch getrennt. Aber mehr als ein Abendessen hatten wir ja auch noch nicht zusammen. Zusammen mit den “students” sind zwei deutsche Zimmerleute gekommen, die hier in Indien auf der Walz sind. Machen in der Schule den Spielplatz neu. Und nehmen jetzt eben auch die Zen-Meditation mit.

Für die Youngsters gibt’s heute Abend eine leicht veränderten Ablauf, zweimal 15 Minuten, danach Ende für Sie und nochmal 25 Minuten für uns, die wir die Nummer hier gewohnt sind.

Samstag, 29.1.2000
Die 25 Minuten für uns wurden dann doch abgehängt, vermutlich einfach so. Aber trotzdem ein Zeichen, dass es “wir” und “sie” so wenig gibt wie “ich” und „du“.

Sonntag, 30.1.2000
Montag, 31.1.2000
Dienstag,1.2.200
Mittwoch 2.2.2000

Donnerstag, 3.2.2000
Vielleicht ist auch das Zen, tagelang nichts mitzuteilen zu haben. Entleerung? Was-auch-immer, im Übermaß ist es schwer auszuhalten. Wenn ich zu lange schweige, gehe ich mir verloren. Selten so deutlich erlebt, wie wir alle uns immer wieder durch Kommunikation erschaffen. Wie wir diese Oberfläche erschaffen, an die andere ihre Vorstellungen und Erwartungen heften können. Und die uns selbst Stabilität gibt.

Oder: ich gebe dem Gegenüber eine Vorstellung von mir. Ich übermittle ihm meinen Wert (gelegentlich wohl auch Unwert) in der Hoffnung, dass er mich in dieser Vorstellung von mir bestätigt und wertschätzt

Umgekehrt: Wenn der andere nichts über mich weiß, weiß auch ich weder mich noch ihn einzuschätzen.

Ein wichtiger Teil meiner Identität ist es, Wagenbewohner zu sein. Wagenbewohner zu sein hat für meine Selbstdarstellung den Wert eines Berufs. Dies ist es, was ich zuerst über mich mitteilen möchte. Ich lebe im Wagen. Erst danach kommt die Familie. Und dann vielleicht meine Vielseitigkeit, dokumentiert durch meine Berufe und Jobs und Fähigkeiten.

Zuletzt [im Sinne von am Wenigsten] möchte ich mitteilen (oft zuerst erfragt), dass ich mit all meinen Fähigkeiten doch abhängig von der Arbeitslosenhilfe bin. Ein Makel heftet daran. Je nach Laune kann ich das anerkennen oder abstreiten. Am Ende aller inneren und äußeren Diskussion bleibt die Frage, was ich der Gesellschaft zurückgebe dafür, dass sie mich alimentiert.

Das ist nicht nichts, aber es bleibt oft das Gefühl, es sei zu wenig. Aber mit diesem Gefühl, nicht zu genügen, bin ich aufgewachsen. Also: “nicht genug” gemessen an welchem Maßstab?

Diesen Maßstab zu erarbeiten, könnte eine interessante Aufgabe sein. Beginnen wir (wer noch?) mit dem Geld. Sagen wir, besser: ich, meine Arbeitsstunde ist 25 Mark wert. Bei 1600 D-Mark monatlich schulde ich der Gesellschaft 64 Arbeitsstunden pro Monat, heisst 16 Stunden pro Woche (grob gerechnet) oder zwei Arbeitstage.

Zwei Arbeitstage sollten also ausgefüllt sein mit Tätigkeiten, die im weitesten Sinn der Gesellschaft zugutekommen.

Also:

  1. Welche Tätigkeiten, egal ob bezahlt oder unbezahlt, kommen der Gesellschaft zugute?
  2. Welche davon übe ich aus? In der Beantwortung werden wohl beide Fragen zusammenkommen.

Brainstorming: ehrenamtliche Arbeit, Erziehungsarbeit, Sozialarbeit, Umweltschutz, Bildungsarbeit individuelle Hilfe.

Zwischenfrage für den Erbsenzähler: Diejenigen Tätigkeiten, die andere Berufstätige nebenbei erledigen, darf ich mir die so ohne weiteres gutschreiben? Diese Frage erstmal vernachlässigen, aber im Auge behalten.

Gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten
Ehrenamt
Nehmen wir die Arbeit im Weltladen. Unbezahlte Bildungsarbeit, die von gesellschaftlich anerkannten Institutionen immerhin mit großen Beträgen bezuschusst, das heißt wertgeschätzt wird. (Und schon taucht wieder eine Zwischenfrage auf. Wie drückt sich die gesellschaftliche Wertschätzung einer Tätigkeit aus? Zuschüsse, Steuererleichterungen, Rentenausfallzeiten, allgemeine Anerkennung und soziale Einbindung, was noch?)

Soweit diese Wertschätzung benennbar und nachvollziehbar ist, ist sie in der „rechtfertigenden“ Diskussion ein großer Pluspunkt. Für jede Vereinsarbeit bedeutet das, dass Gemeinnützigkeit ein wichtiges Kriterium ist. Okay, die Arbeit im Weltladen ist also unzweifelhaft gute und nützliche Arbeit. Bei entsprechender Ausweitung des Engagements könnte ich auf einen Arbeitstag bzw. 8 Stunden kommen.

Wie ist das mit der Vereinsarbeit für den Pool [der Wagenplatz, auf dem ich lebe]? Zunächst ist der gesellschaftliche Wert nicht durch Gemeinnützigkeit dokumentiert, vordergründig werden nur eigene Vorteile geschaffen. Für die Gesellschaft fallen nur Brotkrumen ab, als da wären: Erhaltung der kulturellen Vielfalt, Lebenswelt für Aussenseiter (Wagenplatz statt Neurose), sparsamer Umgang mit den Ressourcen (Strom, Wasser, Energieeinsatz für Wohnraum) Erkundung von alternativen Techniken und Lebensweisen, Modellcharakter, Umweltschutz, soziale Gestaltung, Solidarität. Kurz: der gesellschaftliche Nutzen, wiewohl deutlich erspürt von jedem der sich nähert, ist nur schwer und abstrakt zu fassen, manchmal strittig oder sogar abzustreiten.

Wie ist das mit der Sozialarbeit, die ich dort leiste, einfach deshalb, weil ich dort bin, Sozialpädagoge bin und gar nicht anders kann, als sozialpädagogisch auf die Menschen einzuwirken. Da entsteht gesellschaftlicher Nutzen. Aber wie lange am Tag bin ich am Platz Sozialpädagoge und wie lange selbst Sozialfall? Sagen wir eine Viertelstunde pro Tag, sonntags frei, macht eineinhalb Stunden pro Woche.

Was ist mit Umweltschutz? Gesetzt der Fall, wir bauen den Pool zurück. Ist das gesellschaftlich nützliche Arbeit? Ich glaube ja, obwohl wir als Gruppe zunächst den größten Vorteil davon haben: den Ausblick. Aber darüber hinaus gewinnt auch das uns umgebenden Naturschutzgebiet ein feuchtes Fleckchen hinzu. Wenn eine Zusammenarbeit mit den Schlammspringern zustande kommt, wird dieser gesellschaftliche Nutzen noch besser dokumentierbar sein. (Zwischengedanke: die Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Gruppen sollte irgendwie in die Betrachtung eingehen.)

Nebenbei: Unsere Waschmaschinen-Klo-Kombination dürfte in der Form bis jetzt auch unerprobt und einmalig sein.

Zurück zum Teich, jede Stunde Arbeit daran ist gesellschaftlich nützlich.

Was ist mit der Erziehungsarbeit? Gesellschaftlich nützlich auf jeden Fall. Aber wie bewerten. Die Kinder zu fördern, so gut es geht, ist ihr eingeborenes Recht. Und auch ausdrücklicher Wille der meisten Eltern. Dass Frauen dafür Anerkennung und finanzielle Gegenleistung bekommen sollten, ist den meisten Menschen noch zu vermitteln.  Aber arbeitslose Väter? Natürlich, Väter, die sich kümmern, bekommen Anerkennung. Aber den gesellschaftlichen Nutzen dafür anzuerkennen ist wohl verschieden davon. Es sind ja die eigenen Kinder, wiewohl auch deren in der Welt stehen das Bild der zukünftigen Welt zum guten oder schlechten prägt.

Kurz, ich glaube Erziehungsarbeit als Arbeit in das Bewusstsein zu heben, ist als Mann nur schwer zu leisten. Das muss (und kann besser) von Frauen geleistet werden.

Bleibt die individuelle Hilfe? Was meine ich überhaupt damit? Nachbarschaftshilfe, alten Omas über die Straße helfen? In Notfällen (welchen?) aushelfen, einfach ein guter und hilfreicher Mensch sein. Nein, da fällt mir jetzt nichts mehr ein. Undeutlich alles, wo die Gesellschaft einspringen müsste, es aber nicht tut. (Gedanke: Wie wäre die Mitarbeit an einem Tauschring aufzufassen?)

Bleibt am Ende dieses Eintrags die Erkenntnis, dass gesellschaftlich nützliche Arbeit am leichtesten dort zu vermitteln bzw. zum Zwecke der Rechtfertigung der eigenen Arbeitslosigkeit zu gebrauchen ist, wo sie im Rahmen von als gemeinnützig eingetragenen Vereinen geschieht oder von anerkannten gesellschaftlichen Institutionen bezuschusst wird. Darüber hinaus käme noch das Engagement in Parteien, Bürgerinitiativen oder Aktionsgruppen in Frage, die sich gerade aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen widmen. Daraus folgt:

  1. Weltladenarbeit weitermachen
  2. gemeinnützigen Förderverein für Wagenkultur gründen (damit habe ich den gesellschaftlichen Nutzen vor meiner Tür!)
  3. Arbeit am Teich beginnen.
  4. Legalisierung des Platzes weiter betreiben (das heißt der Gesellschaft eine weitere Lebensweise auch formal einfügen.)

All das Beschriebene ist natürlich für ein Leben genug. Und wo bleiben meine Umbaupläne und der Ausbau der Häuser?  Und mein Interesse fürs Internet und Computertechnologie. Es gilt noch einmal, darüber nachzudenken. Dies aber nicht heute.

4.2.2000, Freitag
5.2.2000, Samstag
6.2 2000, Sonntag

7.2.2000, Montag
Letzter Tag heute. Morgen Aufbruch um 6 Uhr mit dem Jeep zur Busstation, die nach Dindigul führt, von dort nach Chennai. Bin von einigen Menschen hier sehr herzlich verabschiedet worden. Immer wieder die Frage nach dem “nächsten Jahr”. Eigentlich käme ich gerne mit Helen hierher. Aber dann müssten die Kinder versorgt sein. Ob meine Mutter …? Aber für wie lange? Vier bis sechs Wochen müssten schon sein. Nein, was im nächsten Jahr ist, lässt sich jetzt noch nicht wissen.

Hinzu kommt, dass ich noch nicht so recht weiß, was ich von den diesjährigen vier Wochen halten soll. Meine Meditationspraxis hat sich ganz sicher nicht vertieft. Dazu bin ich viel zu oft und viel zu gerne in meinen Fantasien und Gedanken abgetrieben. Habe viel geträumt, diese vier Wochen, stundenlang dagesessen und geträumt. Nun ist natürlich auch das Praxis, nennen wir es mal einen träumenden Buddha. Aber der träumende Buddha ist unzufrieden mit sich. Also ein unzufriedener Buddha, ein Buddha, der sich selbst Vorwürfe macht (Hätte mehr tun können etc.)

Ich weiß also jetzt, wie ich mich wochenlang in Fantasien flüchten kann. Ich kann in und mit meinen Fantasien leben. Sie sind mir so lieb wie das wirkliche Leben. Ich hänge an ihnen. Ich träume mein Leben vorbei.

Das geht auch zu Hause hinter dem Ofen. Fast noch besser dort, nur fällt mir dort nicht ein, zum Atem zurückzukehren, wenn ich unzufrieden werde. Warten wir ab, wie sich diese Erfahrung des Träumens in meinem Leben auswirkt.

Update (31.3.2023): Der dritte und zugleich letzte Teil ist veröffentlicht, wie zuvor mit Einleitung am Veröffentlichungstag und den chronologisch einsortierten Tagebucheinträgen.