Das Arbeitsamt heißt jetzt Jobcenter

Mein Kommentar:

Raider oder Twix,
geändert hat sich nix!

Auch an den Aktivierungsmaßnahmen hat sich nichts geändert, wer sich 2 Meilen Textwüste antun will, kann das gerne tun!

Lieber F.,
Du fragst, wie es in einer Maßnahme des Arbeitsamtes so ist. Ich will versuchen, der Reihe nach zu berichten. Eine Maßnahme beginnt in der Regel mit einem Gespräch. Dein Fallmanager (eine Bezeichnung, die sagt was ist, Du wirst als Fall gemanaged, Ende) lädt Dich ein und versucht möglichst schonend, Dir die unangenehme Wahrheit beizubringen. In meinem Fall hatte ich genau einen Wunsch – gewachsen aus früheren Erfahrungen mit der Unvermeidbarkeit solcher Maßnahmen, deren Inhalte und meiner saisonal auftretenden Depression – nämlich den, die Maßnahme bitte im Winter besuchen zu dürfen, da sie mir um diese Jahreszeit tatsächlich nutzen könnte. Ich vermute, dem hätte ohne Verlust entsprochen werden können. Wurde aber nicht. Ich vermute weiter: meine Fallmanagerin ist ein schlechter Mensch. Vielleicht auch nur uninteressiert, an mir, ihrem Fall. Oder die Verwaltungssoftware sieht eine Wiedervorlage nicht vor. Mögliche Gründe fallen mir viele ein, nur keine nachvollziehbaren.

Als Nächstes kommt die Einladung zur Maßnahme. Darin wird Dir die Maßnahme als „individuell auf die Bedürfnisse ihrer Altersgruppe„ zugeschnitten beschrieben. Vergiss, dass „individuell“ in Verbindung mit „Gruppe“ semantischer Blödsinn ist, und nimm zu Gunsten des Verfassers an, er hätte „’speziell‘ für die Bedürfnisse ihrer Altersgruppe“ gemeint. Du kannst an dieser Stelle schon beginnen, alles im günstigsten Licht zu betrachten, denn das wird eine der wichtigsten Überlebensstrategien während der Maßnahme sein. Neben der erwähnten semantikfreien Information erfährst Du in diesem Schreiben nicht viel mehr über die Maßnahme, es dient nicht der Information, sondern der Einschüchterung. Der wirklich wichtige Teil ist der mit den Rechtsbelehrungen. Umgangssprachlich: Wenn Du schlecht begründet fehlst, nehmen wir Dir vom Existenzminimum nochmal einen Teil.

Also gehst Du zum angegebenen Termin zum angegebenen Ort. Wie immer hängt alles am Kopf; in meinem Kopf bildet sich die Veranstaltung ab als  Zwangsmaßnahme für Menschen die – durchaus auch im Wortsinn – nichts getan haben. Wir sind eine gemischte Gruppe überfünfzigjähriger Männer und Frauen verschiedenster Nationalitäten mit dem Schwerpunkt auf deutsch, männlich und schlecht qualifiziert. Die schweigsame Biologin aus der Ukraine und der Maschinenbauingeneur aus Kurdistan fallen da niveaumäßig kaum ins Gewicht. Halbwegs verwandt fühle ich mich nur M. aus Irgendwo-Ex-UDSSR, der einen sehr eigenen und gelegentlich widerständigen Humor hat. Der Rest sagt entweder zu wenig oder zu viel. Glücklicherweise sind die, die viel zu viel erzählen, schon nach wenigen Tagen weg, krankheitsbedingt. Trotzdem, du glaubst nicht wieviele Geschichten ich mir angehört habe, die ich gar nicht hören wollte, nur weil ich im falschen Moment …, hmm, was eigentlich? … einfach was gesagt habe, meint: unvorsichtigerweise gezeigt habe, dass ein Teil meiner Aufmerksamkeit auf meiner Umgebung liegt. Die Kurskollegen sind nicht begabt, feine oder  körpersprachliche Hinweise zu verstehen und sie haben ein unglaubliches Mitteilungsbedürfnis, wobei die Länge der Mitteilung in keinerlei Beziehung zur Tiefe steht.  Möglicherweise liegt bei allem Gemurre der Wert dieser Maßnahmen einfach darin, dass die Menschen sich mal wieder aussprechen können.Womit nicht gesagt sein soll, dass nur geschwätzige Schwachköpfe an der Maßnahme teilnehmen müssen, gerade die Migrationshintergründigen bringen Bildung und Gedanken mit, die des Zuhörens Wert sind.

Zum Pädagogenteam, methodisch überzeugend ist nur der männliche Unsympath, die zwei weiblichen Sympathieträger sind seminartechnisch gerade gut genug. Besser müssen sie auch nicht sein, weil man(n) einfach gerne hinschaut. Bestimmt hat sich niemand gefragt, wie man denn eine Gruppe ärgerlicher Ü-Fünfziger über mehrere ereignislose Wochen hinweg ruhig halten kann. Aber die zwei wären auch unter diesem Gesichtspunkt keine schlechte Wahl gewesen. Maßnahmenleiterin ist „die Kleine“,  die ich mag, weil es schwer fällt, sie nicht zu mögen. Großäugig und auf hübsche Weise pausbäckig ist sie nahe genug am Kindchen-Schema um jedem Ärger die Spitze zu nehmen. Die zweite Frau im Team ist die interessantere. Sie hat keinen Spitznamen bekommen, ich vermute, weil niemand offen sexistisch sein will. Selbst die, die gar nicht wissen, was Sexismus ist. Ich bin sehr, sehr überrascht, dass ich in der ganzen Zeit, die wir mit ihr hatten, nicht einmal einen Spruch mitbekommen habe, der sich in irgendeiner Weise darauf bezog, dass diese Frau gut aussah, das durch ihre Kleidung betonte und auch sonst keine Pose auslies. Neigen Hartz4-Empfänger zu stillem Genuß? Lässt auch die Unterschichtserziehung keine derben Sprüche mehr zu? Liegt es am Alter?

Weil mir ja nichts an solcherlei Äußerlichkeiten liegt, würde es sich an dieser Stelle anbieten, näher auf die Inhalte der Maßnahme einzugehen, aber es fällt mir schwer, die notwendigen Überbegriffe zu finden. Das könnte einerseits daran liegen, dass ich zweieinhalb von sechs Wochen krank geschrieben war , andererseits aber auch daran, dass es an einem „runden“ Konzept mangelte. Klar zu identifizieren ist eigentlich nur der Wir-optimieren-ihre-Bewerbung-Block. Computer-Analphabeten tippen einfingrig ihren Lebenslauf, ständig irritiert durch die Rechtschreibprüfung. Kein weiterer Kommentar. Immerhin konnte ich früh und glaubwürdig vermitteln, dass ich erstens ausreichend optimierte Unterlagen habe und zweitens nicht bereit wäre, an diesen auch nur ein Komma zu verändern. Woraufhin ich den Rest der Maschinenzeit im Internet verbringen durfte, beschäftigt mit Sinnvollem (Recherche zum Wechsel unseres Stromanbieters) und Interessantem (R. B. Fuller, Dymaxion, Tensegrity, Wachsmann, Tesselation, technisches Origami, u.v.m.). Damit haben die Pädagogen mehr richtig gemacht, als sie wissen konnten. (…)

Bleibt der wenig zusammenhängende Rest der Inhalte. War bestimmt alles gut gemeint, aber wie die Kenntnis zum Beispiel der Maslowschen Bedürfnispyramide mir oder anderen hilft, die  Arbeitslosigkeit zu beenden, bleibt unklar. Darum ginge es doch gar nicht, höre ich das Pädagogenteam sagen, es ginge auch um Selbsterkenntnis (hier Link zu „wer bin ich“), neue Ideen und Hilfe im Arbeitslosenalltag (oder ähnlichen Blubber). Mir kam das alles nur wie ein mühsam zusammengestückelter Zeitvertreib vor. Was besonders gegen Ende der Maßnahme auch daran deutlich wurde, dass es nicht einmal mehr den Pädagogen gelang, den Spannungsbogen zu halten. Immer öfter wurden wir früher, manchmal auch sehr viel früher, nachhause geschickt. Immer öfter wurden interessante, aber keineswegs zielgruppenspezifische Diskussionen unangemessen lange laufen gelassen. Immer öfter … ach, es war die Pest.

Wie zu solcherlei pädagogischem Flachsinn kommt, haben uns die Pädagogen (ja, ich habe das zweimal von verschiedenen Teammitgliedern gehört) auch anvertraut. Die Maßnahmen werden vom Arbeitsamt mit einer gewünschten Zielvorgabe ausgeschrieben, worauf sich die Maßnahmenträger mit ihren Konzepten bewerben können. Wobei die Konzepte für die Entscheidung dann weniger ausschlaggebend seien als die Preise. Kurz: billig gewinnt. Dass unter solchen Umständen einerseits Berufsanfänger und andererseits selbständige „Berater“, die die Lücken zwischen lukrativeren Jobs mit dieser Art Arbeit füllen, von den Maßnahmenträgern bevorzugt für billiges Geld eingestellt werden, muss dann nicht mehr wundern. Was in diesen Teams den einen an Erfahrung fehlt, gleichen die anderen mit mangelnder Vorbereitung aus.

Das wirklich Erstaunliche an dieser Maßnahme war, mit welcher Geduld die Zwangsteilnehmenden sich in ihr Schicksal fügten. Sehr wenige Widerworte, kaum offene Erregung, demonstratives Desinteresse als Gipfel des Widerstandes. Verweigerung niemals geradeaus sondern immer hinter einem Kann-nicht oder Mir-fällt-nichts-ein getarnt. Ich habe versucht meiner Vorbildfunktion gerecht zu werden und das anders zu machen, einige meiner Beiträge haben bestimmt weh getan. „Unbequem sein“ halte ich in solchen Situationen für erste Bürgerpflicht. Warum sollen die Pädagogen für das wenige Geld, das sie verdienen, auch noch einen leichten Job haben? Sie sind das Gesicht der Maßnahme, des Billigkonzeptes und letztlich auch des Auftraggebers, des Jobcenters. Und sie haben sich dafür entschieden, es zu sein. Sie sind der einzig menschliche Adressat eines berechtigten Unmuts. „Eigentlich“ gehören sie an den Rand der Berufsfähigkeit getrieben, damit sie beginnen, darüber nachzudenken, wobei sie sich zum Erfüllungsgehilfen machen. Diese Zwangsmaßnahmen werden sich nur verändern, wenn die Pädagogen erfahren haben und ihrem Auftraggeber gegenüber vertreten, dass sie so nicht durchzuführen sind.*

Heißt: sie bleiben wie sie sind, nicht zuletzt wegen des in Anführungszeichen gesetzten „eigentlich“. Die Mädels waren nett und bemüht, der Herr methodisch gut, da fällt es schwer, die notwendige Widerständigkeit durchzuhalten. Und dann sind da ja auch die Kollegen, von denen man verstanden sein will. Die aber verstehen Widerstand nicht, wenn er unbegründet erscheint oder „nur“ politisch begründet ist. Kurz, das pädagogische Team war gut genug, zu jedem Zeitpunkt höflich und zugewandt aufzutreten und auf diese Weise zu vermeiden, ein allzu leichtes Ziel für den Volkszorn abzugeben. So konnte aus mir – trotz aller markigen Worte – auch keine Ikone des zivilen Ungehorsams werden, vielleicht war ich manchmal „pain in the ass“, vermutlich niemals mehr. An ein paar Stellen habe ich auf formale Art und Weise den Ablauf etwas aufhalten können, was aber nur dann als Akt des Widerstandes zählen könnte, wenn nicht ohnehin viel zu viel Zeit zu vertrödeln gewesen wäre. …

Tja, mein Lieber, vielleicht fällt Dir ja was ein, um Deine bevorstehende Maßnahme erträglicher oder aufregender zu machen. Ich schätze in zwei oder drei Jahren könnte ich dann von Deinen Erfahrungen in meiner nächsten Maßnahme profitieren. Bis dahin gilt, die Arbeitslosigkeit aufrecht zu ertragen

LG g.

* Es lebe die judäische Volksfront. Nieder mit der Volksfront Judäa.

Update (26.8.2011): Telepolis hat was zum Thema 50+ und Aktivierungsmaßnahmen

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