Keine Empfehlung

Ich will mich im Folgenden an einer Besprechung versuchen, ich war im Theater und ich war enttäuscht. Andere waren das nicht, das Ensemble bekam üppig Applaus, wirklichen, echten und ernst gemeinten Applaus. Ich klatschte aus Höflichkeit und Respekt vor guten Einzelleistungen, denn, bei aller Kritik möchte ich danken für die Bemühung, mich zu unterhalten und zum Nachdenken zu bringen. Keine kleine Aufgabe, daran zu scheitern ist leicht.

Diese anderen, die da klatschten voller Überzeugung, wußten die etwas, das ich nicht wußte? Das kann gut sein, ich habe keine Ahnung von Theater, kaum Vorwissen zum gebotenen Stoff, ich bin ein naiver Kunstrezipient. Das gilt sehr umfassend, ich schaue mir gerne Dinge, darunter auch Kunst, an, lasse mich dabei auch gerne mal verunsichern, bin nicht böse, wenn ich etwas nicht verstehe oder mag. Ich vermute, mein Zugang zur Kunst ist oft handwerklich geprägt, fragt danach, ob etwas gut „gemacht“ ist. Gerade dort, wo Bedeutung mich nicht sofort anspringt, schaue ich zuerst auf den Herstellungsprozess und erst im zweiten Schritt, was mir das bedeuten soll. Brauchte der Künstler eine Lupe oder ein Baugerüst während seines Schaffens, musste er präzise sein oder Zufälligkeiten in Kauf nehmen, welche Materialien und Werkzeuge hat er verwendet und hätte er für den gleichen Effekt auch andere verwenden können? Soweit es mich betrifft ist die Beherrschung der Mittel die halbe Miete. Ist die gezahlt, bemühe ich mich gerne um die andere Hälfte, Bedeutung.

Meint: ich bin ein naiver Betrachter mit einem eher handwerklich geprägten Zugang. Wenn Was-auch-immer „gut gemacht“ ist, stehen die Chancen gut, dass es auch mit mir „etwas macht“, Gefühle oder Gedanken auslöst, und wenn es das tut bin ich bereit, es Kunst zu nennen. Und zufrieden zu sein, sogar wenn ich ahne, dass ich ungefähr die Hälfte davon nicht verstehe.

Während des Schlussapplauses fand ich mich also im Widerspruch zur Mehrheit des Publikums, das anscheinend bereit war, die offensichtlichen handwerklichen Mängel der Inszenierung zugunsten von …, ja, von was eigentlich, zu ignorieren. Es war die zweite Aufführung des Stücks und leider sind noch keine Kritiken von Menschen die bruflich kritisieren erschienen. Ich habe sie gesucht, in der Hoffnung auf Unterstützung oder wenigstens Erklärung. Gefunden habe Veröffentlichungen zu anderen Inszenierungen der gleichen Bearbeitung des Stücks und eine 326-seitige Doktorarbeit zum Thema „GEORG BÜCHNERS FRAGMENT WOYZECK und seine INTERMEDIALEN BEARBEITUNGEN“, nichts davon wirklich gelesen, weil ich schnell merkte, dass ich, wenn ich diesen Text, den ihr gerade vor Euch habt, schreiben will, mir meine Naivität bewahren muss.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/im-erbsenwahn-100.html

<O>

Über eine Woche später habe ich eigentlich keine Lust mehr, mich mit dem Stück auseinanderzusetzen, aber dieser Artikel ist begonnen, dann will ich ihn auch abschließen. Freund J. gegenüber habe ich meine Eindrücke schon ausführlich „besprochen“, ich muss nur noch sortieren, im Gespräch ging es mehrfach vor und zurück. Mit den Beginn anzufangen ist oft sinnvoll. Eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn gab es im Foyer eine Einführung in das Stück, beim Betreten des Theaters hatte ich ein Programmheft mit einem erläuternden Text bekommen und darin eingelegt die englischen Texte der Songs, jeweils mit einer kurzen Erklärung, was sie uns im Rahmen des Stücks denn zu bedeuten hätten. Ich fühlte mich ausreichend an die Hand genommen und schätze derlei Handreichungen sehr. Erst im nachhinein bemerke ich in mir eine Ambivalenz. Könnte es sein, dass die Verantwortlichen ahnten, wie wenig das Stück sich selbst oder die Art und Weise, es genau auf diese Weise aufzuführen, erklärt. Eine armer, gequälter und eifersüchtiger Mann bringt im Wahn seine Freundin um, Entschuldigung, ein „präkarisierter Arbeiter“ begeht einen „Femizid“; im Stück selbst weißt nichts darüber hinaus. Während der Einführung wurden mir lokale und globale Statisken zu Femiziden vorgelesen, Fakten, die bekannt und auch für sich alleine erschreckend genug sind. Soll ich jetzt im Stück dasitzen, mir einen Femizid anschauen und darüber sinnieren, wie dieser mit der Präkariatserfahrung des Mörders zusammenhängt. Ja, soll ich wohl.

Das Stück beginnt und anfangs bin ich unterhalten. Das ändert sich im Verlauf und ein Teil meiner Unzufriedenheit ist wahrscheinlich dem Fakt geschuldet, dass ich zuviel Zeit hatte, mir Gedanken zu machen oder auf Details zu achten. Den Schauspielenden gelang es nicht, meine Aufmerksamkeit zu halten und so konnte ich sie anderem zuwenden. Wäre dies eine Filmbesprechung würde ich schreiben, dass die Immersion zu oft gebrochen wurde und ich mich dadurch den schlechten Spezialeffekten widmen konnte.

Aber bevor ich mich den Nebensächlichkeiten widme, ich habe zwei Hauptkritikpunkte. Zum einen der Gesang des männlichen Ensembleteils, den ich so schlecht fand, das ich zunächst mißverständlich formulierte, „die können nicht singen“. Dank Freund J., der selbst singt und ungläubig nachfragte, kann ich jetzt präzisieren. Die von mir Kritisierten können schon jeden Ton treffen und auch halten (zumindest soweit das meinen eingeschränkten Beurteilungsrahmen betrifft) , aber sie haben nicht die Tragkraft oder das Volumen, das in Reihe 10 noch etwas Hörenswertes ankommt. Besonders dann immer zu bemerken, wenn das Orchester gerade aussetzt. Apropos Orchester, das hat wirklich Spaß gemacht und war zu jedem Zeitpunkt hörenswert; nur um nebenbei auch mal zu loben.

Hätte ich nur einen Satz für diese Kritik zur Verfügung, er lautete: Die hätten doch wissen müssen, dass sie nicht genug Leute haben, die singen können!

Mein zweiter Hauptkritikpunkt ist die Besetzung des titelgebenden Woyzek. Allem voran ständig zu schnell und manchmal unverständlich sprechend, ist er auch vom körperlichen Typus her nicht geeignet, eine Person zu spielen, die Armut und Hunger erleidet. Zum Zeitpunkt der Handlung zehrte Armut noch aus und führte nicht wie heute zu durch Fehlernährung verursachtem Übergewicht. Mein Woyzek wäre zehn Zentimeter größer und zwanzig Kilo leichter gewesen. Mit einem Austausch von Rollen wäre das auch ohne Verlust machbar gewesen. Also vermutlich, was weiß ich schon, was da sonst noch so in die Entscheidungen hereinspielt.

Ab jetzt kommt nur noch die Inszenierung betreffender Kleinkram. Eine verschenkte Chance und deswegen ein unnötiger Schnörkel ist die Bestzung der Marie durch drei Darstellerinnen, die zu jeden Zeitpunkt gemeinsam auf der Bühne sind. Es solle gezeigt werden, das die Marie ganz unterschiedlich aussehen kann. Ach. Und sonst so? Wo bleibt da der Feinsinn, wir könnten von verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen oder Persönlichkeitsanteilen sprechen, vielleicht verschiedene Kulturen und damit die globale Dimension des Femizids andeuten. Vor allem aber, wir könnten nicht nur darüber sprechen, sondern es auch ausspielen. Leider geschieht das nur ein einziges Mal während des Stückes, wenn eine Marie sich deutlich in den Tambourmajor verguckt, während die anderen beiden sich lieber schnell vom Feld machen. Ansonsten haben wir halt drei Marien, die verschieden aussehen, aber sonst sehr gleich agieren.

Sagte ich drei? Eigentlich sind es sechs, drei weitere Marien bilden einen Background-Chor und treiben sich gelegentlich auch noch auf der Bühne mit herum. Vermutlich braucht die Inszenierung sie irgendwie gesangstechnisch, ansonsten scheinen sie mir verzichtbar. Auch hier, einen Versuch gibt es, mit ihnen etwas zu machen. In einer Szene tragen sie High Heels, laufen damit von links nach rechts über die Bühne, wo sie sich dekorativ hinsetzen, zuvor aber die High Heels ausziehen. Ganz ehrlich, das ist mir zu platt.

Bleibt das Bühnenbild, eine steile, hellgrüne Treppe, die irgendwas bedeuten soll, das ich schon vergessen habe. Assoziationen gäbe es zahlreiche, von der Karriereleiter bis zu den Höhen und Tiefen des Lebens oder des sozialen Standes. Die Auftritte des Hauptmanns ganz oben, der Doktor etwas unterhalb, der Tambourmajor, der oben seine Erfolge feiert und unten säuft und hurt. Das hat schon alles Sinn. Ich wollte das eigentlich kritisieren, aber jetzt, wo ich es aufgeschrieben habe, ist mir meine Kritik entglitten. Auch gut, wir halten fest, das Bühnenbild war okay.

Vor allem aber, die Schauspieler haben darauf Großes geleistet. Sie sind die je nach Körpergröße waden- bis kniehohe Treppe hoch und runtergegangen, auch gestürmt, gelegentlich rückwärts, alles mit vermeintlicher Mühelosigkeit. Eine körperliche Leistung, die ich würdigen möchte. Aber, jetzt fällt es mir wieder ein, diese vermeintliche Mühelosigkeit passt auf unbestimmte Weise nicht zu meinen obigen Assotiationen. Das war es, was mich an den Bühnenbild irritierte. Genauer kann ich das nicht benennen.

Das war es mit meinen Beobachtungen. Ich bin der erste, der zugibt, dass diese Beobachtungen fehlerhaft oder unvollständig sein könnten, ich bin kein gebildeter oder geübter Theatergänger, möglichweise sind mir entscheidende Dinge entgangen. Womit ich mir keineswegs die Berechtigung absprechen möchte, zu kritisieren. Ich halte das, was ich gesehen habe, in Teilen für schlecht, ich möchte die Erfahrung nicht wiederholen oder weiterempfehlen. Das Stück hat mich nicht erreicht und blieb hinter seinen guten Ansätzen zurück. Besprechung Ende.

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Ich möchte noch einmal zurückkommen auf mein Selbstbild als naiver Betrachter und den damit einhergehenden Zweifel, ob ich denn überhaupt „gültig“ kritisieren kann. Ich glaube ja, als naiver Betrachter steht es mir zu, das betreffende Werk auf seiner Erscheinungsebene zu kritisieren, zu mögen oder abzulehnen. Umso schöner, wenn ich es begründen kann. Danach können wir gerne tiefer oder Meta gehen.

Ich mag Kunst, die ist wie Disneys „Aladin“, der Film wird von jedem Kind verstanden und gemocht, hat aber so viel erwachsenen Humor oder popkulturelle Referenzen, dass auch den Eltern der Kinobesuch Spass macht. So sollte auch ernste Unterhaltung sein, mehrschichtig und „kind“gerecht. Woyzek war das nicht.

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