Gerade gefunden (ist aus einer Mail an F² von 2008), passt:
Du suchst die durchgehende Linie, die bestimmenden Themen, das abrundende Element. Alles nicht zu finden. Das Leben ein Episodenfilm? Ich glaube ja. Was hat der jugendliche Möchtegern-Hippie mit dem Familienvater meiner mittleren Lebensjahre gemeinsam, und was dieser mit dem alternden Wagenplatz-Bewohner, der ernsthaft überlegt nochmal zwei Jahre Friedensdienst in Indonesien zu machen (ist jetzt schon ein paar Jahre her)? Und heute bin ich schon wieder ein anderer, wenn auch nicht unbedingt der, der ich gerne wäre.
Wenn mich das nicht sehr erschreckt, dann mag das daran liegen, dass die buddhistischen Lehrer seit zweieinhalbtausend Jahren jedem Schüler als erstes erklären, dass da absolut nichts zu finden ist, das dauerhaft genug wäre, um als Grundlage für ein Ich zu dienen. Alles nur Bedingungen und Verhaltenstendenzen, die auftauchen und vergehen, manche bleiben lang genug um die Illusion zu nähren, dass es da etwas gäbe, das Bestand hat. Aber auch die werden sich irgendwann auflösen. Auflösen müssen, spätestens durch Alter, Krankheit und Tod.
Als ich 1999 im Zendo von Father Ama Sami war, fand ich in der Bücherei ein kleines, schön gestaltetes Buch mit der „Meiselschrift vom Glauben an den Geist“. Bei der Meiselschrift handeltes sich um ein altes zen-buddhistisches Gedicht, das Sengcan (Jianzhi Sengcan) zugeschrieben wird, dem dritten Patriarchen des Zen in China, der im 6. Jahrhundert lebte. Der Titel bezieht sich auf die Tradition, wichtige Schriften in Stein oder Holz zu meißeln, um sie auf diese Weise zu ehren und zu bewahren.
Im Buch standen jeweils zwei Zeilen mit chinesischen Schriftzeichen zusammen mit einer deutschen Übersetzung auf einer Seite. Die einleitenden Zeilen, von denen gesagt wird, dass sie die Essenz des folgenden seien, sahen so aus:
道本無難 唯嫌揀擇
Der Große Weg ist nicht schwierig,
für diejenigen, die keine Vorlieben haben.
Im weiteren Verlauf erfuhr ich, dass einer der Schüler dort an einer eigenen Übersetzung arbeitete. Und dass es noch deutlich mehr Übersetzungen gäbe. Zwei davon konnte ich finden und war überrascht, wie sehr sie sich voneinander unterschieden. Wieder zuhause machte ich mich an das überambitionierte Vorhaben, mir die für mich richtige Übersetzung zusammenzustellen. Ein Vorhaben, das ich schon bald aufgab.
Zur Illustration: auch dies ist eine Übersetzung der oben zitierten chinesischen Schriftzeichen.
Was mir blieb sind mentale Reste dessen, worüber ich damals nachdachte, und ein Bündel verwaschener DIN-A4-Blätter mit meinen Notizen. Im Wesentlichen geht es um Nicht-Dualistische Denken und das Loslassen von konzeptionellen Unterscheidungen. Es gilt einen Zustand des Geistes zu erreichen, der frei ist von Anhaftung, Abneigung und Vorlieben.
Wir sollen erkennen, dass alle Unterscheidungen, Urteile und Dualitäten (wie gut vs. schlecht, richtig vs. falsch) die Quelle von Leiden und Missverständnissen sind. Um Frieden zu erlangen, sollte man alle dualistischen Ansichten loslassen
Das Festhalten an Meinungen und mentalen Konstrukten schadet, während Akzeptanz Freiheit und Frieden bringt, da der Geist nicht länger von Anhaftung oder Abneigungen aufgewühlt wird. Erwachen geschieht in einem einfachen Dasein jenseits konzeptioneller Vorstellungen.
So einfach ist das! Nicht.
<O>
Die Meiselschrift endet mit folgenden zwei Versen:
Glaube an den Geist ist Nicht-Zwei,
Nicht-Zwei ist Glaube an den Geist.
Der Weg der Worte ist zu Ende –
keine Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart.
<O>
PS
Diesen Text gibt es heute, weil ich gestern bei der Bücherräumerei auf meine Notizen zur Meiselschrift gestoßen bin und mich genau zum richtigen Zeitpunkt daran erinnert fühle.
In den letzten Tagen und Wochen habe ich mich mehrmals in ausführlichen Rückblicken auf mein Leben verloren. Oder auch beim Betrachten der alten Fotoalben meiner Eltern in Fantasien über deren Leben. Ich stoße auf alte Texte oder Bilder und bleibe für Stunden darin gefangen. In der Regel gefällt mir, was ich sehe oder lese, meistens erscheint es mir auch bewahrenswert. Auf eines dieser bewahrenswerten Dinge, das Buddhablog, bin ich heute zufällig auf der Suche nach einem ganz anderen Text gestoßen.
Das Buddha-Blog gab es drei Jahre lang, von März 2006 bis Februar 2009 mit dem Schwerpunkt im Jahr 2008, und wie man so schön sagt: es war gut solange es dauerte. In diesen und den Jahren davor hatte ich eine heftige Romanze mit einer Spielart des tibetischen Buddhismus, dem Diamantweg, und ein Teil der Inhalte dort war ganz wesentlich durch Belehrungen aus diesem Umfeld geprägt. Was auch der Absicht entsprach, das Buddha-Blog sollte Tagebuchbloggen und thematisches Bloggen miteinander verbinden. Das gelang damals nur unvollkommen und, im Rückblick betrachtet war die Idee auch recht hochmütig, als Laienbuddhist mit wenigen Jahren der Übung und Belehrung den Menschen buddhistische Weisheiten erklären zu wollen.
Am besten war das Buddha-Blog in den Beiträgen, die sich auf meine eigene Praxis bezogen, und einen Teil davon habe ich schon vor Jahren in dieses Blog integriert und unten nochmals verlinkt. Das war und ist der Beginn meines Vorhabens, in den nächsten Tagen (fast) alle Beiträge hierher zu holen. Das wird nicht mal eben so gehen, aber ist machbar. Es ist eine Fleißarbeit.
Euch müssen und werden diese neuen alten Beiträge nichts bedeuten, Ihr sitzt daneben, wie ich einen Karton mit persönlichen Erinnerungsstücken anschaue, die noch dazu vollkommen unkommentiert bleiben.
<O>
Alles hat geklappt, der Buddha-Blog ist hier nun in knappen fünf Tagen Nebenbei-Arbeit nahtlos integriert. Jeder der Beiträge ist mit „buddha-blog“ getagt, wer will kann sich die alten Beiträge also gesammelt anzeigen lassen. Oder einem der Links unten folgen, falls Ihr Euch durch eine der meistenteils aussagelosen Überschriften angesprochen fühlt.
Schon im Dezember des letzten Jahres bin ich mit der Bearbeitung des dritten und letzten Teils meiner Zendo-Tagebücher fertig geworden. Dann wurde ich durch eine Folge gesundheitlicher Probleme abgelenkt und erst jetzt, rund drei Monate später, habe ich den Kopf wieder frei genug für Autobiografisches.
Dieser dritte Teil unterscheidet sich sehr von den zwei vorherigen Teilen. Die Unterschiede ergeben sich vor allem daraus, dass ich nicht als Alleinreisender dort war, sondern gemeinsam mit meiner damaligen Freundin anreiste. Die Idee, die Zeit im Zendo gemeinsam zu verbringen, war wenige Tage zuvor spontan aufgetaucht, wir waren unterwegs in Sri Lanka und es bedurfte nur der Umbuchung einiger Flüge von Seiten der Freundin, um den Einfall umzusetzen. Ich weiß nicht mehr, was wir erwarteten, aber wir bekamen, was erwartbar gewesen wäre, Beziehungsarbeit.
In der Bearbeitung habe ich alles gekürzt, was zu sehr in die Details unserer Auseinandersetzungen ging (und sich mit weniger freundlichen Worten auch als peinliche, unreife Scheiße bezeichnen ließe). Erhalten habe ich die Teile, in denen ich nicht über sie, sondern von mir schreibe (zugegeben mit einer regelbestätigenden Ausnahme).
Weitere Kürzungen gibt es dort, wo es um die Koans ging, warum das so ist habe das schon im Vorwort zum ersten Teil erläutert. Andererseits war ich vermutlich nicht ganz so konsequent wie in den ersten beiden Teilen.
Und da ich insgesamt sehr viel weniger geschrieben habe, als während der ersten beiden Aufenthalte, ist dieser dritte Bericht auch sehr viel kürzer. Vieles aus dem Zendo-Leben musste nicht mehr beschrieben werden und insgesamt war ich sehr viel mehr mit anderen Menschen beschäftigt als mit mir. Ich will das nicht werten.
Eine Sache möchte ich noch erwähnen, die ich damals erstaunlich fand und auch heute noch erstaunlich finde. Es ist die Tatsache, das uns auf Anfrage vollkommen unkompliziert ein zweites Bett in mein Einzelzimmer gestellt wurde, wir also in einem unserer Zimmer ein Doppelbett hatten. Doppelzimmer gibt es im Zendo nicht, es gibt sehr viele Einzelzimmer und einen Gruppenschlafraum. Auch deswegen hatte ich eher einen klösterlichen Ansatz erwartet, aber halt trotzdem gefragt. Und wurde überrascht, Zen eben:
Heute habe ich den zweiten Teil der Zendo-Tagebücher, den Aufenthalt im Jahr 2000, eingestellt. Das ist rund 1 Jahr später als gedacht und 2 Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Teils.
Dieser zweite Teil unterscheidet sich wesentlich vom ersten Teil. Das Leben im Zendo wird kaum noch geschildert, stattdessen liegt der Schwerpunkt auf meiner jeweiligen Befindlichkeit. Fiebrig, erkältet, einsam, voller Selbstzweifel, identitätskriselnd und grenzdepressiv, im Kampf mit Sex & Crime oder der Außenbewertung, alles dabei.
Wer sich noch nie mit Zen beschäftigt hat, wird hier wenig darüber erfahren, Praktizierende aber (oder solche, die viel darüber gelesen haben) werden vieles davon wiedererkennen. Sich dem zu stellen, was in uns auftaucht, wenn wir zur Ruhe kommen (wollen), ist Teil des Weges und die Aufgabe besteht darin, es zunächst sein und dann gehen zu lassen.
Einige der oben angesprochenen Themen begleiten mich bis heute. Das ist nicht der Zen-Praxis anzulasten, zuerst, weil ich nicht praktiziere, besonders aber, weil es nicht Ziel der Praxis ist, uns auf wundersame Weise leidensfrei zu machen.
Das ist eine starke Aussage, der manche widersprechen würden. Ist nicht die Befreiung vom Leiden das zentrale Thema im Buddhismus? Ich will diese Diskussion nicht führen (habe auch keinerlei Kompetenz, das zu tun), nur eine Idee zum Selbst-weiterdenken: Meditationspraxis löst nicht das Leiden auf, sondern die Ich-Illussion des Leidenden. Auch dafür gibt es zarte Hinweise in den Tagebüchern, wenn man sie aufzufassen weiß.